Alles über Sally
in mein Leben, und dann hat sich das Glück gewendet, und es ist in eine andere Richtung gegangen, das war Pech, was will man machen, und dann wieder Glück und dann wieder Pech, wie die Ägypter sagen, yom asal, yom basal, ein Tag Honig, ein Tag Zwiebel, das hat mir nichts ausgemacht, wegen der Liebe, dagegen kann man nichts machen, so ist die Liebe, ganz einfach, in meinem ersten Jahr an der Uni hat es einenKommilitonen gegeben, der ist in der Mensa mit mir am Tisch gesessen, sein Unglück war, dass er sich für Museologie nicht interessiert hat, er hat Seitenhiebe auf die Qualität des Essens gemacht, sonst kannte er nur einen Gesprächsstoff, Dampflokomotiven, nichts anderes, und alles unglaublich dringend, weil der Dampfära gerade der endgültige Garaus gemacht wurde, auch auf den Nebenstrecken, und jedes Wochenende ist der Bekannte dorthin gefahren, wo er sich einen letzten Blick auf die verschwindenden Schönheiten erhofft hat, jeden Freitag ist er nervös gewesen, voller Hoffnungen für seine Jagd am Wochenende, nicht anders als die anderen Studenten, deren Jagdobjekte weniger wuchtig und nicht ganz so gesundheitsschädlich waren, am Montag ist er zurückgekehrt, hat einen Überblick über die Höhepunkte der Reise gegeben, seine Befürchtungen und Enttäuschungen, bis zu einem sonnigen Montag im Mai, da ist er völlig apathisch über seinem Essen gesessen, darauf angesprochen, hat er abwehrend reagiert, es war nichts Schreckliches passiert, er hatte den erfolgreichsten Fund seiner Dampflokomotiven-Karriere gemacht, und die Freude darüber hatte sich über Nacht in die Erkenntnis verwandelt, dass er nie wieder eine solche Trophäe ergattern würde, die alten Lokomotiven würden schneller verschwinden als die Kommunisten im Osten, er hatte die Verkörperung dessen gesehen, was für ihn Schönheit bedeutet, nichts würde jemals damit vergleichbar sein, und als er Wochen später eine Prüfung ablegen musste, ist er angetreten, ohne sich vorbereitet zu haben, er war außerstande, auch nur zu versuchen, die Fragen zu beantworten, er hat die Zeit damit vertrödelt, dass er über Eisenbahnsignale,Bogenweichen und Bremssysteme geschrieben hat, sehr sauber, sehr gewissenhaft, nicht dass er sich dadurch Renommee bei den anderen Studenten und bei den Studentinnen erhofft hätte, er ist zur Prüfung angetreten als tragisch Verliebter und hat die Prüfung als solcher absolviert, seiner Ansicht nach wurde gerade die Liebe seines Lebens geschlachtet, kein anderer Gegenstand war in der Lage, seine Aufmerksamkeit zu erregen, das ist Liebe, es wäre einfach lächerlich, so jemandem zu unterstellen, er habe das Leben schlecht erfasst, und Jakob, mein jüngerer Bruder, der viele Probleme hat, er hat mir mehrmals erzählt, dass er in Karlsruhe zwei Mädchen getroffen hat, als er Anfang zwanzig war, sie haben ihn im Auto mitgenommen, eins davon – natürlich das hübschere – hat ihn geküsst, als sie im Auto den Kopf nach hinten gebeugt hat, und ihre Hand in seinem Nacken, die ihn ein wenig zu sich herangezogen hat, um den Kuss intensiver gestalten zu können, er sagt, er ist unbeschreiblich glücklich gewesen, dass ihm einmal jemand entgegenkommt, sonst hat immer er aktiv werden müssen mit dem Risiko der Ablehnung, und dasselbe Mädchen hat er im Winter im Park getroffen, sie haben wie Kinder mit Schneebällen geworfen, sich gegenseitig eingerieben, und er ist wieder glücklich gewesen wie vorher und nachher nie, an dieses Mädchen denkt er seither wie an einen unaufhörlichen Traum, und dieses Mädchen meint er, wenn er sagt, irgendwo auf der Welt, und sei es am Nordpol, ist eine Frau für mich, und ich werde auf sie warten, und auch wenn das Warten sinnlos ist, ohne Chance auf Erfüllung, so hat es doch entscheidenden Sinn für mich, ist das dumm? nein, dumm ist das nicht,das ist Liebe, etwas sehr Einfaches, man liebt und basta, man kann es nicht ändern, es kommt und geht oder bleibt, bei manchen bleibt es, es gibt nicht nur mich, der diesen Vogel hat, und es ist einfach lächerlich, mir zu unterstellen, ich hätte das Leben schlecht erfasst, oder liege ich falsch? ist es vielleicht eine Art geistiger Defekt? oder wenigstens nicht schlau? oder bin ich ein sentimentaler Irrer oder armer Sentimentaler, um ehrlich zu sein, es ist mir egal, weil es Dinge gibt, von denen kommt man nicht los, solange man lebt, man macht eine grandiose Erfahrung, die einen nachts schweißgebadet auffahren lässt mit der Frage, was kommt jetzt
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