Alles über Sally

gerne Cocksucker-Blues sehen, den Film von Robert Frank über eine Tournee der Rolling Stones, ich erinnere mich, hat Sally gesagt, Robert Frank hat hinterher gemeint, er wünschte, niemals mit diesem Lebenshunger konfrontiert worden zu sein, mit dieser Kraft, und wir haben uns angeschaut, ich habe Sally angeschaut, über den Tisch hinweg, meine Frau, ich bin mit ihr schon ziemlich lange verheiratet, ich habe einen Schluck vom Wein genommen, Sally, habe ich gesagt, raus mit der Sprache, willst du den Film sofort sehen, am liebsten heute noch, oder nur so allgemein? da hat sie einen Rückzieher gemacht, nur so allgemein, nicht jetzt, hat sie gesagt, vielleicht in einem halben Jahr, oder einem Jahr, irgendwann, im Moment fehlt mir die Kraft, und das hatmich erleichtert, obwohl ich nicht überrascht war, sie ist ja seit Wochen, seit ungefähr zwei Wochen, ziemlich zahm, schon seit längerer Zeit, ich kann mich fast nicht mehr erinnern, wann sie zuletzt aus der Rolle gefallen ist, sie gibt sich dermaßen mild, so habe ich sie schon seit langem nicht mehr erlebt, ich habe meinen Ohren nicht getraut, als sie vorige Woche gesagt hat, Alfred, die neue Frisur passt dir gut! oh, danke, das ist nett, solche Dinge kann man im Moment von ihr haben, ich würde zu gerne wissen, was mir die Ehre verschafft, oder besser, wem ich sie verdanke, weil Sally ist zu Hause, um ihre Wunden zu lecken, ich könnte wetten, sie kuriert sich aus, und hopp, auf ein Neues, wie ein umgestülpter Handschuh, aber gut, mir ist es recht, ich will nicht der Spielverderber sein, wenn meine Frau sich bemüht, eine gute Partnerin zu sein, kaum zu glauben, was ein wenig guter Wille bewerkstelligen kann, so schnell dreht sich der Wind, gestern Nacht die nächste erfreuliche Begegnung, keine verschlafene Fummelei, und hinterher war Sally ganz erledigt, sie hat sich in meinen Arm geschmiegt und ist dort eingeschlafen mit einem Busen an meiner Brust, so sehe ich mich gern, wie Spiderman mit seiner Freundin im Spinnennetz zwischen den Wolkenkratzern, wenn sie sich ausruhen, Arm in Arm, das ist mein Traum, den ich vom Leben habe, mit Sally als Freundin, für ein paar Tage, für ein paar Wochen, mir gefällt’s, Alfredo, Alfred aus Schenkenfelden, ich weiß, ich bin grad der Nutznießer von was auch immer, Sally macht dort draußen bestimmt nicht nur angenehme Erfahrungen, es ist unmöglich, so herumzuvagabundieren, ohne an die üblichen Idioten zu geraten, interessiert es mich, mit wem sie sich einlässt?es hat da einen gegeben, den habe ich kennengelernt, der war intelligent und nett, aber er hat beim Reden die Lippen fast nicht geöffnet, und sonst? keine Ahnung, wer sie diesmal nach Hause getrieben hat, andererseits, komisch sich vorzustellen, dass sie mir die komplette Liste vorlegt, es stünde bestimmt nicht nur einer drauf, der nicht draufstehen dürfte, mein Vater, mein Bruder, mein Chef, der Nachbar, den ich nicht ausstehen kann, leider ist sie wahnsinnig geschickt im Vertuschen, Beweise sind Mangelware, es gibt nur Indizienbeweise, die ich ihr an der Nase ablese, weil sie schneller redet, wenn sie lügt, sie redet einen Tick schneller, wenn sie lügt, ich habe ein Sensorium dafür entwickelt, manchmal ist es nicht zu fassen, was für Bären sie mir aufbindet, darauf angesprochen, behauptet sie dann einfach, menschliche Beziehungen würden nicht funktionieren ohne ein bisschen Unaufrichtigkeit, na ja, kann sein, das Zählen der Präservative jedenfalls habe ich vor vielen Jahren eingestellt, ich bin nicht systematisch genug, oder meine Töchter bedienen sich heimlich oder mein sexueller Sohn, ganz so, wie ich mich an den Zigaretten meines Vaters bedient habe, man erbt nicht nur Grundstücke, und einmal habe ich Sally vorgeworfen, sie sei so unglaublich lebensgierig, zu unkontrolliert, zu unordentlich in ihrer Lebensgestaltung, und sie hat mit den Achseln gezuckt und gesagt, Alfred, alle Frauen, die du jemals für längere Zeit in deinem Leben geduldet hast, waren so, unkontrolliert, unordentlich und gierig, du fühlst dich zu solchen Menschen magisch hingezogen, du hast nicht eine einzige Freundin, die so ist wie du, du magst die chaotischen Menschen, die meisten Menschen, die vor Lebenstrotzen und klug und interessant sind, sind gleichzeitig verrückt und chaotisch und fordernd, das hat Sally gesagt, und ich habe klein beigegeben, es stimmt, natürlich, ich habe Sally nicht wegen des Geldes geheiratet oder wegen ihrer Kochkünste, meine Mutter hat mich