Alles über Sally
Fliesenboden. Dann für eine Weile nichts mehr, bis ein gepresstes »Scheiße!« ertönte.
Sally schaute fragend aus der Küche heraus, sie hob die Rundbögen ihrer Augenbrauen.
»Ich habe nichts getan!« sagte sie.
»Ich aber auch nicht«, sagte Alfred.
»Ich glaube, du schon«, sagte sie.
Bleich und schwitzend wälzte sich Alfred auf den Rücken, er streckte sich aus, als wolle er zunächst sein Herz zur Ruhe kommen lassen. Sally trat zu ihm hin und schaute auf ihn hinab.
»Ich kapituliere«, sagte er zerknirscht.
Nach einem kurzen Zögern setzte sich Sally neben ihn auf den Fußboden, die Mühe, weich zu werden und sich zu erbarmen, fiel ihr jetzt überraschend leicht, Alfred spürte das natürlich, obwohl sie sagte:
»Es ist wirklich ein Elend mit dir.«
Sein einer Pantoffel lag oben auf der Stiege, der andere auf halbem Weg in Richtung Wohnzimmertür.
»Geht’s?« fragte sie.
»Ich glaube, da ist etwas Ärgeres passiert«, sagte er enttäuscht. »Ich habe es krachen gehört. Der Knöchel.«
Sally schaute hin, trotz des Stützstrumpfes konnte man sehen, dass der rechte Knöchel bereits anschwoll.
»Ich kann es mir vorstellen«, sagte sie und streckte ihre Hand danach aus.
»Nicht angreifen!« rief Alfred entsetzt.
»Ich wollte ja nur.«
»Nicht angreifen«, sagte er nochmals, aber leise und in seinem Mühlviertler Bauerndialekt.
Sally hielt kurz inne und erschauerte. Dann wich die Spannung aus ihr, und sie sank ein wenig in sich zusammen. Da stemmte sich Alfred auf den Ellbogen ein Stück näher zu ihr hin, Schmerzenslinien auf der Stirn, und seufzend legte er den Kopf in Sallys Schoß.
»Deinen Strumpf werden sie dir herunterschneiden«, sagte Sally nach einer Weile. »Den kannst du abschreiben.«
Alfred horchte in ihren Schoß hinein.
»Kaufst du mir einen neuen?« fragte er dann vorsichtig.
»Ich?«
Er drängte sich ein wenig enger an sie, als wolle er bei ihr Schutz suchen, er drückte seinen Mund auf die Innenseite ihrer rechten Hand.
»Nein, ich bestimmt nicht!« sagte sie.
10
Ja, ein rätselhafter Mensch, aber es wird besser, es wird täglich besser, wenn man es besser nennen will, denn natürlich ist es kein reiner Segen, dass man sich täglich besser kennenlernt, wie Erich Kästner in Fabian den Fabian über seinen Freund Labude sagen lässt, du warst der einzige Mensch, den ich liebte, obwohl ich ihn kannte, etwas Treffenderes fällt mir dazu auch nicht ein, ich habe es gestern zitiert, ich bin bestimmt nicht der erste, der es zitiert, macht nichts, es passt immer, diesmal im Zusammenhang mit Robert Frank, wir haben über einige Fotos von ihm geredet, die Nacktfotos von seiner zweiten Frau June, schon in die Jahre gekommen, am Strand, wo genau am Strand? auf einer Insel vor der Ostküste Kanadas, und Sally wollte wissen, Alfred, was ist es, was diese Fotos so besonders und anziehend macht? ich glaube, habe ich geantwortet, es ist die Vertrautheit zwischen Fotograf und Frau, aber Sally hat sich mit der Antwort nicht zufriedengegeben, kann es sein, wollte sie wissen, dass es die Fragen sind, die der Fotograf weiterhin hat? wer ist diese Frau? ich weiß, sie heißt June, sie ist mit mir verheiratet, aber viel weiß ich nicht über sie, ich würde gerne mehr über sie wissen, schließlich ist sie meine Frau, es wäre kein Schaden, wenn ich mehr über sie wüsste, das hat Sally gesagt, und ich habe aufgehorcht, ich habe mir gedacht, zum Teufel, führen wir ein Gespräch oder sind das verschlüsselte Botschaften, die wirwechseln? ich habe gesagt, keine Ahnung, ich kenne weder Robert Frank noch seine Frau, aber Neugier auf jeden Fall, Vertrautheit und Neugier, das macht die Fotos so besonders, so anziehend, weil der Betrachter sich die Frage stellt, wer ist diese Frau? warum ist sie so entspannt? warum darf ich die Fotos sehen, obwohl ich mit dieser Frau nicht vertraut bin, schön wäre es natürlich, mit ihr vertraut zu sein, also Neid auf den Fotografen, und Wut, weil einerseits diese Vertrautheit, man kann die Frau betrachten, June am Strand, schon in die Jahre gekommen, das verlangt Vertrauen, andererseits eine fremde, unbekannte Person, das ist ungerecht, das habe ich zu Sally gesagt, ja, das ist ungerecht, und Sally hat nachgehakt, was ärgert dich daran, Alfred? aber ich habe nicht darüber reden wollen, wie vertraut oder fremd mir die eigene Frau ist, und Sally hat einen Seitenpfad eingeschlagen, vermutlich um mich zu provozieren, sie hat gesagt, Alfred, ich würde
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