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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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herzustellen gewesen, und da sei er eben gleich selbst gekommen. Der Mann stammte aus Bayern, er hieß Alfons Hofer, und er nannte die junge Frau, die da vor dem brennenden Kamin stand und die Geige in der Hand hielt, Fräulein Gisela und guckte sie treuherzig an. Auch Jago konnte so gucken, wenn er auf sein Fressen wartete. Ein Wunder, sagte er, daß er den Hof gefunden hat in der Dunkelheit. Nun konnte nichts mehr verfrieren, nun würde man sich Zeit lassen können und in Ruhe sehen, was weiter wird.
     
    Das Tantchen machte Glühwein für den Mann, strich Brote mit Leberwurst, und der Soldat erzählte, wie wunderbar der Bunte Abend im Lazarett gewesen war, alle sprächen noch immer davon, von dem Zauberkünstler natürlich und von den Witzeerzählerinnen – die etwas ordinär gewesen waren, und weshalb man beim Witzeerzählen so kurze Röcke tragen muß, sei ihmunverständlich. Der Jongleur mit der Tellerdreherei, und dann als Krönung natürlich – das sagte er zu den Globigs hin – die Geige ... «Ihr Spiel, das Spiel von Fräulein Gisela.» – Der Oberarzt habe das in seiner Rede noch extra hervorgehoben, und alle Kameraden hätten davon geredet, und immer wieder: so was Schönes hätten sie noch nie gehört, da wären sie sich alle einig gewesen, das hätten sie alle gesagt. Und daß er sie habe begleiten dürfen, sei etwas ganz Besonderes für ihn gewesen. Er setzte sich ans Klavier und begann recht flott zu spielen, obwohl man doch eben Ernstes zu hören gekriegt hatte, und es stellte sich heraus, daß Fräulein Strietzel noch ganz was anderes in ihrem Repertoire hatte als Serenaden: Sie spielte also Schlager, alte und neue, von Alfons einfühlsam begleitet, alles mögliche spielten sie, was ihnen gerade so einfiel. «Kennen Sie dies?» und «Kennen Sie das?»
    «Wenn der weiße Flieder wieder blüht» und «Sag’ beim Abschied leise Servus ... »?
    Der junge Mann begleitete sie, und, das war das Wunderbare, er spielte nur mit der Linken, den rechten Arm hatte man ihm amputiert.
     
    Bei dir war es immer so schön,
    und es fällt mir unsagbar schwer zu geh’n ...
     
    Dieser schöne Schlager wurde immer wieder gespielt, und dann kam dem Tantchen eine Idee. Sie ging ins Billardzimmer und kam mit einem Grammophon zurück und setzte es in Gang. Alsbald ertönte der Walzer:
     
    Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe.
     
    Da hielt es die jungen Leute nicht mehr, sie tanzten, von dem Hund gefolgt, um den Tisch herum, eine Runde nach der anderen, mal links herum, mal rechts ... immer haarscharf am Tannenbaum vorbei. Der Oberschnäpser machte den Kavalier, und das Fräulein Gisela hing ihm hingerissen im Arm – daß sie das auch kann, tanzen, und kein Kind von Traurigkeit ist, sollte das bedeuten, immer eine Runde nach der anderen. «Es war eine rauschende Ballnacht», diesen Film kannte man ja, Zarah Leander. Das Kaminfeuer loderte die Schatten der beiden jungen Menschen an die Wand, über Ahnenbilder hinweg, Graf Koks von der Gasanstalt, und das Tantchen spendierte mehr und mehr Glühwein, bis das Fräulein Gisela einen roten Kopf hatte.
     
    Und dann tanzten sie hinüber in den Sommersaal, in die eiskalte größere Sache da, ganz in Weiß und Gold. Die Fenster zum Park hin zugefroren, und an der Wand eine Reihe roher Kisten mit dem Hab und Gut der Kusine aus Berlin, die ihre Tischwäsche und Kleider auf den letzten Drücker nicht auch noch verlieren wollte. In der Tat, hier hatte man mehr Platz für Links- und Rechtsdrehungen.
     
    Peter wurde gefragt, ob er schon mal getanzt hat? «Komm mal her!» sagte Fräulein Strietzel mit ihren schlechten Zähnen, und sie griff sich den Jungen und kommandierte: links, zwei, drei, rechts, zwei, drei ... Und der Junge faßte sie sehr ungeschickt an und fühlte sich gegen ihren Leib gedrückt, brettartig mit Ausbuchtungen und ganz anders wie bei seiner Mutter, die so warm und weich war.
     
    Aber es war in dem Saal eben doch sehr kalt, und dann war die Luft irgendwie raus aus der Sache, und sie setzten sich wieder vor den Kamin, und das Grammophon wurde abgestellt.
    Ob er mal eben sein Mikroskop holen soll? Fliegenbeine angucken? fragte Peter, aber darauf wurde nicht weiter eingegangen.
     
    Plötzlich ging das große Licht an, und man rieb sich die Augen: Wo war man denn, was machte man hier?
    «Bamm», machte die Standuhr, «bamm!» und «ding-dingding» die Uhr im Billardzimmer.
    Es wurde Zeit. «Komm, Peter, es ist schon spät»,

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