Alles Umsonst
sagte Katharina, nahm den Jungen und verabschiedete sich. Gern hätte der Junge gewußt, wo man mit dem abgetrennten Arm des Soldaten abgeblieben war. Warf man so was einfach fort?
Das Tantchen blieb sitzen. Es erhob sich nämlich die Frage: bald Mitternacht ... ob der Soldat die Nacht über nicht einfach hierbleiben kann?
Die Nacht über hierbleiben? Zwei junge Menschenkinder unter einem Dache? Voll Saft und Kraft? – Das ging natürlich nicht. Soweit kommt das noch ..., sagte das Tantchen. Und sie machte sich allerhand zu schaffen, stellte Stühle richtig hin und wartete, was nun werden soll.
Und obwohl der Mann schon die Stiefel ausgezogen hatte und immer wieder sagte, daß es ihm graut vor dem Rückweg durch Nacht und Schnee, 18 Grad Kälte ist schließlich ganz schön happig, und er glaubt, er hat ein bißchen zuviel getrunken ... wurde ihm dennoch der Mantel gebracht. Also Rückzug auf der ganzen Linie! Der Soldat schrieb seine Feldpostnummer auf einen Zettel, damit ihn das Fräulein Strietzel jederzeit erreichen kann, er konnte bei dieser Gelegenheit ja auch den Schlitten gleich mit zurücknehmen ins Lazarett. Dann wäre diese Angelegenheit auch bereinigt.
Als Soldat einen Kinderschlitten ziehen? – Nun ja, es war ja dunkel.
Der Soldat legte sich den Militärschal um die Ohren, biß noch einmal vom Leberwurstbrot ab, und Fräulein Strietzel brachte ihn hinaus in Dunkelheit und Kälte, und es dauerte eine Weile, bis sie zurückkam, und sie hatte Schneeflocken im Haar. Ein heißes Liebespfand trug der Bayer in seiner Hosentasche, das hatte ihm das Fräulein Strietzel noch zugesteckt.
Vielleicht würde man sich ja mal wiedersehen, irgendwann? Truppenbetreuung in Bayern? Warum nicht? München soll ja wunderschön sein ...
Oder nach dem Krieg, einfach mal runterrutschen nach Bayern? Warum nicht? Das war doch im Frieden kein Problem? Das Tantchen meinte auch, im Frieden werde es sicher ohne weiteres möglich sein, nach München runterzurutschen oder wohin auch immer. Vielleicht sogar in die Schweiz oder nach Italien?
Ihr schönes Schlesien, vielleicht sähe sie das ja auch mal wieder ...
Fräulein Strietzel packte die Geige ein und legte sich auf das Sofa, und das Tantchen mummelte sie mit verschiedenen Dekken dick ein. Ob sie noch irgendetwas braucht? ein Buch vielleicht? Für alle Fälle? Ernst Wiechert? hier ganz in der Nähe geboren .... – Nein, da hätte sie ja die Hände unter der Decke hervornehmen müssen. Vielen Dank.
Wenn Fräulein Strietzel auch nicht wunschlos glücklich war, so war sie’s doch zufrieden, hier warm zu liegen und in die Flammen zu gucken und dem Zischen zu lauschen, manchmal war es auch ein Säuseln, das aus dem Feuer kam, wie die Stimmen armer Seelen aus weiter Ferne.
Wer hätte das gedacht, in diesem adelig angekränkelten Haus noch so ein netter Abend! Alfons Hofer hieß der Soldat, und warum eigentlich nicht, wieso sollte man sich nicht irgendwanneinmal wiedersehen? «Nur nicht aus Liebe weinen»? Sie seufzte. Schade, daß sie ihr langes Kleid nicht herausgeholt hatte, das hätte ein besonderer Höhepunkt an diesem Abend sein können. Das wäre dann vielleicht unvergeßlich gewesen.
Den Hund winkte sie herbei, und der legte sich neben sie auf den Boden. Das war auch für ihn schön, in der Nacht nicht allein zu sein in der dunklen Halle. – Sie sah in die Flammen des Kamins und rieb ihre vom Frost juckenden Knöchel. Tanzverbot, dachte sie, für das deutsche Volk war ja Tanzverbot angeordnet worden, ob das auch für private Geselligkeiten galt? Würde man in Schwierigkeiten geraten, wenn’s aufkommt, daß man hier getanzt hat? Fröhlich zu sein und zu tanzen, wenn draußen die Soldaten kämpften und verbluteten?
Am besten, man hält den Mund.
Sag’ beim Abschied leise «Servus»,
nicht «Lebwohl» und nicht «Adieu»,
diese Worte tun nur weh ...
Im fernen Mitkau heulten unterdessen, wie jede Nacht um diese Zeit, die Sirenen. Hier draußen war man weit vom Schuß. Da hatte das nichts zu bedeuten.
Am nächsten Morgen wurde Abschied genommen. Die scheue Katharina nahm sie in den Arm, und Peter sah ihr noch lange nach.
Das Tantchen
E in labberiges Kleid trug das Tantchen unter den labberigen Strickjacken, dunkelblau mit kleinen gelblichen Blumen, mal hier eine, mal dort, wie ausgeschüttet aus einem Füllhorn. Eine goldene Nadel hatte sie am Kleid stecken, goldene Pfeile nach allen Seiten, in der Mitte ein Karneol, das war eine Erinnerung an
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