Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
ihre Mutter.
     
    Abends machte sich das Tantchen in der Küche gern eine Wärmflasche: Im Herd war ein Boiler eingelassen, in dem das Wasser lange heiß blieb. So auch an diesem Tag. Die Herdplatte war nicht gescheuert worden, das hatten die Mädchen wieder einmal vergessen, obwohl tausendmal gesagt! Und daß sie sich zu dem polnischen Kutscher aufs Zimmer geschlichen hatten, war zu vermuten. Die füllige Vera war besonders darauf aus, mit dem bedächtigen Wladimir zu schäkern, und sie verstand es nicht, daß der sich mehr zu der schlanken Sonja hingezogen fühlte. Kranz um den Kopf, aber immer eine rote Nase?
     
    Auf dem Herd hatte doch eine Pfanne mit Bratkartoffelresten gestanden? Die hätte das Tantchen jetzt gern aufgepickt, aber das hatte schon ein anderer besorgt. In der Speisekammer war Zucker verschüttet – es knirschte. Und wieder einmal fehlte eine Wurst.
     
    Das Tantchen schloß die Hoftür zu und hängte frische Geschirrtücher hin. Dann schnappte sie sich die Zeitung, klemmtesich die Wärmflasche unter den Arm, horchte an der Tür zur Halle – alles still, die Geigerin schlief bereits fest – und stieg die Treppe hinauf.
    Sie horchte an Katharinas Tür. Regte sich da noch was? Weshalb schloß sie denn nur immer ab, diese merkwürdige Frau, die so gar nicht zu Eberhard paßte, immer so still, wo dem armen Jungen doch etwas Aufmunterung gut getan hätte. Beim letzten Urlaub: Kommst du mit hierhin? kommst du mit dahin? – Immer nein! gesagt. Muksch war sie eigentlich nicht, aber still und in sich gekehrt, so als ob sie ein schweres Schicksal zu tragen hätte. Oder einen Kummer?
    Und dabei ging ihr doch so gar nichts ab?
     
    Immer abschließen? Das wunderte das Tantchen. Das war auch wieder so eine Idee. Immer diese Geheimnistuerei. War das gegen sie gerichtet? – Zu ihr hätte jederzeit jemand kommen können. Hätt’ sie sogar gefreut, wenn jemand gekommen wäre und hätte gesagt: «Ach, Tantchen, kann ich mich mal eben zu dir setzen?» Und dann das Herz ausgeschüttet? Sie hatte doch für alles Verständnis?
     
    Aber auch Eberhard zeigte sich nicht immer von seiner besten Seite. Schroff war er und pedantisch. Es waren die Gelddinge, die für Unruhe sorgten. Die Aktien in England? Das Reismehl- werk in Rumänien – «alles Halunken!» Das Offiziersgehalt war es, das allein den Betrieb aufrechthielt.
     
    Das Tantchen wohnte in dem langen schmalen Giebelzimmer, über dem der ramponierte Morgenstern stand, die Decke des Zimmers war der Architektur des Hauses entsprechend tonnenartig gewölbt.
    Unter dem runden Giebelfenster, aus dem in früheren Jahrendie Fahne hinausgesteckt worden war, die schwarz-weiß-rote und dann natürlich auch die mit dem Hakenkreuz, befand sich, ganz im alten Stil, ein Podest, es war mit einem Holzgeländer vom Zimmer abgeteilt. Hier stand ein Sekretär und ein alter Lehnsessel. «Wenn in Großmütterchens Stübchen ganz leise schnurrt das Spinnrad am alten Kamin ... » Ein gehäkeltes Deckchen auf der Rückenlehne verhinderte es, daß der Bezug am Kopfteil fettig wurde.
    Von diesem Platz aus, ihrem «Ausguck», wie sie auch sagte, sah sie in die neue Siedlung hinein, Haus an Haus, eines wie das andere; jenseits der Chaussee, auf der gelegentlich Autos vorüberflitzten, lag sie, und es war manchmal ganz interessant, was sich dort ereignete: spielende Kinder, Frauen, die Wäsche aufhängten, und Betrunkene, von einem Haus ins andere torkelnd. Die große Eiche vorm Haus hatte der Junge im letzten Jahr durch ein Baumhaus verunstaltet.
    «Junge, muß das nun sein?» hatte sie gesagt. Aber Eberhard hatte gemeint: «Laß ihn nur. Er will hoch hinaus ... »
     
    Wenn sie sich etwas vorbeugte, konnte sie auch den Hof überblicken, mit Stallungen und Kütnerhaus. Auf dem Holzplatz sägte der Pole Brennholz, der scherzte öfter als nötig mit den Mädchen.
    Sooft sie auch hinausguckte, immer zählte sie die Hühner, die auf dem Hof umherliefen, und die Gänse. Morgens der Milchwagen und zweimal pro Tag der Bus, ein unförmiges Ding, der mit Holzgas betrieben wurde.
    Jetzt im strengen Frost hielt sich das Geflügel in der großen Scheune auf. Da lagen immer noch irgendwelche Körner, obwohl sie schon seit Jahren leer stand.
    Der Pfau guckte manchmal um die Ecke, das Rad hatte er schon lange nicht mehr geschlagen.
    Auf der Straße war nie viel los, ein Fahrrad, der Milchwagen zweimal am Tag, und der Omnibus nach Mitkau. Und ab und zu ein flitzendes Auto.
    Neuerdings ließen sich

Weitere Kostenlose Bücher