Alles Umsonst
wüßt’,
wen ich geküßt,
um Mitternacht am Lido ...
Das Tantchen hieß Helene Harnisch. Sie stammte aus Schlesien. Ihr Giebelzimmer war mit geblümter Tapete versehen und mit den Mahagonimöbeln vollgestellt, die noch aus Schlesien stammten, einem Schrank, Stühlen, dem schlichten Sekretär und einem Bett, in dem gewiß schon mal ein Dichter gestorben war, wie gescherzt wurde. Neben dem Sekretär hing ein kleines Hitlerbild, in Art einer Federzeichnung war es verfertigt, der Führer und Reichskanzler mit einem Hakenkreuzadler auf dem Schlips, und unten drunter dessen schräge Unterschrift schräg unterstrichen.
Das Tantchen setzte sich in den Sessel, schob den Vorhang zur Seite und sah in die Nacht hinaus. Alles lag in tiefstem Dunkel. Am Himmel standen eiskalte Sterne, der Mond war noch nicht aufgegangen.Am Vormittag hatte in der Siedlung Hitlerjugend rechtsum! linksum! gemacht, trotz Schnee und Eiseskälte. Drygalski war herbeigestiefelt und hatte auf sie eingeredet. Daß nun die Zeit der Bewährung anbricht, und er hofft, daß er sich auf die Jungen verlassen kann, wenn’s hart auf hart kommt. Er ließ sie abmarschieren nach Mitkau. Dort gab es fürJugend in diesen Tagen viel zu tun: alten Leuten die Kohlen aus dem Keller holen und Schnee schippen auf der Kreuzung. Spät am Abend waren sie zurückgekehrt. Auch Peter hätte mitmarschieren müssen, aber der beschäftigte sich lieber mit seinem Mikroskop. Außerdem war er wieder einmal stark erkältet.
In den verschließbaren Aufbauten des alten Sekretärs verwahrte das Tantchen die Wirtschaftsbücher des Gutes, und hier erledigte sie, seit Eberhard im Felde war, die amtliche Post, denn Katharina von Globig vergaß immer alles, ließ leicht die Flügel hängen, wie es ausgedrückt wurde, und blickte immer so hilflos um sich, sagte: «Ach Gott, ja ...! Das hab ich ja ganz vergessen», und da machte das Tantchen am Ende lieber alles gleich selber.
Für ihren Husten verwahrte sie in dem Sekretär eine Tüte Eukalyptusbonbons, von denen schenkte sie gelegentlich Peter einen, und der warf sie sofort weg.
Es roch nach reifen Äpfeln in ihrem Zimmer und nach verwesenden Mäusen, aber es war gemütlich, und das Tantchen bezeichnete das Zimmer als ihr Reich.
Sie saß gern in dem Sessel an ihrem Sekretär und guckte hinunter auf den Hof und auf die Chaussee und zur Siedlung hinüber.
Ein feiner alter Teppich lag auf dem Fußboden, und unter der Decke war eine Lampe angebracht, deren milchiger Glasschirm mit grünen Perlschnüren versehen war. Wenn Eberhard von Globig mal heraufkam, um der Tante sein Leid zu klagen, daß mit Katharina nichts anzufangen sei, stieß er mit dem Kopf dagegen, und das klingelte dann und schaukelte und beruhigte sich erst nach einer Weile.
Über dem Bett hing ein Aquarell in weißem Rahmen – ein von Rosen umrankter weißer Pavillon war darauf in überfließenden Farben dargestellt, eine Erinnerung an Schlesien, an das Gut ihres Vaters. In diesem Pavillon hatte sie als Kind immer so gern gesessen, wenn sie Kummer hatte oder sich über irgend etwas freute, das linke Bein unter sich gezogen, hier hatte sie im Sommer mit ihren Freundinnen Puppenschule gespielt.
Lehrerin hatte sie werden wollen, aber es war alles ganz anders gekommen ...
«Mein liebes Schlesien», pflegte sie zu sagen. Und: «Es ist alles nicht so einfach.»
Das Gut ihres Vaters war versteigert worden, damals, 1922, als alles den Bach hinunterging, Haus und Hof, Wälder und Felder. Ein Kriegsgewinnler und Raffke hatte Geld geliehen, immer wieder, und dann hatte das Gut versteigert werden müssen, zur Unzeit, und dieser Unmensch hatte dabei zugesehen. Alles eingesackt und den Pavillon abgerissen ganz ohne Not! Den hätte man ja auch stehenlassen können! Der alte Gärtner hatte geweint, als er gehen mußte. Auf seine Holzschuhe hatte sie sich als Mädchen gestellt, und er hatte mit ihr ums Rondell einen Bärentanz getanzt.
Die paar Möbel waren ihr geblieben und das Bild über ihrem Bett.
Neben dem Bild vom Gartenpavillon hing eine Laute, mit Bändern, die an ihre Jugend erinnerten.
Kein schöner Land in dieser Zeit ...
Auch sie hatte einmal Verwundeten was vorgespielt, vor fast dreißig Jahren, 1917, die großen weißen Hauben der katholischen Schwestern und die gestreiften Anzüge der Kranken, und auch sie war von einem Blinden darum gebeten worden, ihreHand fassen zu dürfen, und das hatte dem Mann nicht abgeschlagen werden können. Nie
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