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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dieses Vorratslagers war einer der Gründe, weshalb sie ihr Zimmer verschlossen hielt, man hätte die Bannware erschnuppern können, Tabak? Kakao? Seife?
     
    Als Eberhard zum letzten Mal dagewesen war, im Herbst, mit schwerem Herzen und düsteren Gedanken, war er durch alle Zimmer gegangen, die Halle, das Billardzimmer und den Sommersaal – und dann hatte er hier oben bei seiner Frau Kaffee getrunken, wie früher so manches Mal, obwohl doch unten genug Platz war, wie das Tantchen sagte, da hat man ja bald gar nichts mehr voneinander ... Sie hatten nebeneinandergesessen und hatten geflüstert, während Eicheln auf das Dach des Sommersaals knallten. Die englischen Stahlaktien und die Reismehlfabrik. Mit den Aktien war es jetzt im Krieg nichts mehr, und die Rumänen? Gut, daß er das Gehalt hatte als Sonderführer, damit kam man einigermaßen über die Runden.
    «Alles Halunken», hatte Eberhard gesagt. – Neben dem Ständer mit der «Kauernden» hatten sie gesessen und Musik gehört, Musik zum Träumen: der große Walzer aus «Bal paré»? Und: «Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n ... » – Hatten sie sich gar bei der Hand gehalten?
    Eberhard hatte die Tür zur Abseite geöffnet und war hineingekrochen, um die Vorräte zu begutachten. «Immer schön vorsichtigsein ... », sagte er zu Katharina und steckte sich eine Zigarette in die verkokelte Meerschaumspitze seines Vaters. Mit einem Wolltuch rieb er die Schäfte seiner Stiefel blank.
     
    «Immer schön vorsichtig sein», das sagte er auch in anderer Beziehung zu ihr und immer wieder. Wenn er seine Frau sah, sagte er: «Schön vorsichtig sein, Kathi?» Und sie sagte zu ihm: «Ja, und du auch!» Aber da unten in Italien war er ja weit vom Schuß.
    Die Frage war, ob man Frau und Sohn nicht irgendwohin schickte, an den Bodensee vielleicht? Diese Frage stellte sich Eberhard, doch er kam zu keinem Schluß. Noch wäre es gegangen ...
     
    Seit einiger Zeit hörte Katharina die Nachrichten, die über BBC kamen, unheimlich waren sie und ermutigend zugleich. Sie lag dann auf dem Bett – die Hand an ihrem Medaillon und den Mund offen – und lauschte den Botschaften von drüben, ruhig und sympathisch vorgetragen, sachlich und ganz ohne Häme. Sie stellte den Sender sehr leise. Wer konnte denn wissen, ob Drygalski da unten nicht wieder mal die Abkürzung nahm, um nachzuprüfen, ob die Ukrainerinnen sich auch wirklich im Kütnerhaus aufhielten, wie sie es nachts doch sollten? Und nicht womöglich im Waldschlößchen standen bei dem Gelumpe dort? Das interessierte diesen Mann immer so sehr, obwohl es ihn doch gar nichts anging.
    Irgend etwas war ihm nicht geheuer an Georgenhof, obwohl doch alles ganz in Ordnung war. Seine eigne Frau lag in der Wohnküche krank auf dem Sofa. Und die lebten hier in Saus und Braus? Daß die saubere Frau von Globig nur ein einziges Mal gefragt hätte: «Wie geht’s Ihrer Frau?»
    Eberhard hatte seiner Frau geraten, das Radio immer auf den Deutschlandsender zurückzustellen, wenn sie BBC gehört hat. Besser ist besser. Da wäre dann nichts mehr zu beweisen. Nach Bohnenkaffee roch es gelegentlich im ganzen Haus, dann gönnte sich Katharina da oben was.

Mitkau
    A n einem kalten Wintertag setzte sich Katharina die russische Persianermütze auf, ließ anspannen und fuhr mit der Kutsche nach Mitkau. In der Remise stand sie noch immer, die altmodische Kutsche, in der sie damals, im heißen Sommer 1931, als Jungvermählte vom Bahnhof in Mitkau abgeholt worden waren von Kutscher Michels, der dann später in Polen so ziemlich als erster «fiel». Der kleine Brautkranz hing noch immer hinten am olivrunden Fenster des Gefährts.
    Aber nun war es kalt, und der Wind blies einen feinen Schneeschleier über die eisige Chaussee. Katharina hatte die Pelzdecke über die Knie gezogen, und der Wallach: klipp-klapp! zog die leichte Fracht munter dahin. Für das schwere Tier war die Kutsche eine Spielerei. Ein schweres, charaktervolles Tier, das seine Augen gern nach hinten drehte, wenn jemand einstieg.
    Katharina benutzte das alte Gefährt ganz gern für ihre Stadtfahrten, und sie kutschierte es selbst, das hatte ihr Michels noch beigebracht. Wöchentlich einmal fuhr sie in die Stadt, das war ihr zur Gewohnheit geworden. «Das brauche ich», sagte sie.
     
    Das Städtchen Mitkau, von einer dicken, schiefen Mauer umschlossen, lag an dem von Weiden gesäumten Fluß, der Helge, der sich durch Wiesen und Felder schlängelte. Eine eiserne Brücke spannte

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