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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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können?»
    Lothar Sarkander in seinem eleganten Anzug, das Parteiabzeichen am Revers, hatte Einblicke, der wußte, was die Glocke geschlagen hatte.
     
    Ob das klug sei, Peter hierzubehalten? fragte Sarkander, stand auf und stakste im Zimmer auf und ab. Hätte man ihn nicht vielleicht doch lieber nach Berlin geben sollen?
    Nun war es dazu zu spät?
    Es könne sein, daß er in der nächsten Woche dienstlich nach Berlin müsse, da könne er ihn ohne weiteres mitnehmen? Aber: Im ersten Krieg hatten sich die Russen doch ganz human benommen?
    «Wir werden Mittel und Wege finden, euch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen», sagte er. «Darauf kannst du dich verlassen.» Er legte ihr die Hand auf die Schulter, und sie drückte sich ein wenig an ihn.
     
    Dann betastete er den blutigen Hasen und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, und die junge Frau ging getrost davon: So schlimm wird’s schon nicht werden, dachte sie. Was sie nicht ahnte: Sarkander hatte seine Frau und seine Kinder schon im Herbst nach Bamberg geschickt.
     
    Katharina ging hinüber zur Buchhandlung Gessner & Haupt am Markt, wo ihr der Buchhändler einen Kunstband zusteckte: «Deutsche Dome des Mittelalters». Das war ein Band aus der Reihe der «Blauen Bücher», den sie noch nicht hatte. Die Bände «Griechische Bildwerke», «Der stille Garten» und «Rembrandts Selbstbildnisse» besaß sie schon. Wenn man nur immer auf dem Quivive war, würde man die Reihe irgendwann vervollständigen können.
    Der Buchhändler war bedrückt. Trotz seines Magenleidens hatte man ihn zum letzten Aufgebot gemustert. Für alle Fälle sollte er sich bereithalten, wenn die Sirenen dreimal heulten, Treffpunkt da und da, also nicht verreisen, immer erreichbar sein! Und wenn die Sirenen dreimal heulen, den Waffenrock anziehen und zum Treffpunkt eilen.
    Und dann?
    62 Jahre war er alt, und er hatte sich sein Alter ganz anders vorgestellt.
     
    Die Glocke schlug an, als sie den Laden verließ, und der Buchhändler guckte ihr nach. Diese Leute haben es gut, dachte er und nahm eine Magenpille. In seinem Hinterstübchen stand ein offener Karton, in den schichtete er bibliophile Kostbarkeiten ein. Die Erstausgaben von Lessing und Goethe waren längst in Sicherheit.
     
    Im überheizten Café Schlosser saßen Soldaten vor ihrem Heißgetränk. Mancher hatte ein Mädchen bei sich, die würden sich dann zu andern Soldaten setzen, wenn sie davonziehen mußten.
    Hier traf Katharina Herrn Schünemann, den Nationalökonomen, der mit seinen Krücken sofort auf sie zuschwang und sie mit «gnädige Frau» anredete, Handkuß und so weiter, so daßsich die Soldaten sehr wundern mußten: So etwas im sechsten Kriegsjahr?
    Schünemann war inzwischen ganz richtig in Insterburg gewesen, das kleine Briefmarkengeschäft dort hatte er heimgesucht, und mit reicher Beute war er zurückgekehrt: Altdeutschland, die schwere Menge! Und er öffnete seine Tasche und zeigte die Neuerwerbungen vor, eine nach der andern. Was sie dazu sagt? fragte er sie, das hätte er gern gewußt, und sein verdorbener Atem hüllte sie ein. Ziemlich schäbige Dinger, so schien es Katharina, aber die Sache mochte ihre Richtigkeit haben.
    Sie lehnte sich zurück, und Schünemann redete auf sie ein: «Wenn die Geldentwertung kommt – was meinen Sie, liebe gnädige Frau, was dieser Krieg kostet? –, dann steigen diese kleinen Dingerchen gewaltig im Wert. Auf diese Weise rette ich mein gesamtes Vermögen!» sagte er, und er machte ein spitzbübisches Gesicht, daß er gar nicht so dumm sei, sollte das bedeuten.
     
    Katharina mußte an die Feldpostmarke denken, die er heimlich vom Umschlag gerissen und eingesteckt hatte. Sie fragte sich, wieviel die wohl wert sein würde eines Tages. Vielleicht dachte Schünemann in diesem Augenblick ja auch daran? Schnell zahlte er seinen Kaffee und schwang in seinen beiden Krücken davon. Auf nach Allenstein! Da war bestimmt noch allerhand zu holen.
    Katharina machte noch eine Visite bei ihrer fröhlichen Freundin Felicitas, immer so lustig, immer so amüsant, und konnte so herrlich erzählen! Auch dort mußte ein Hase abgeliefert werden. Hochschwanger war die Freundin, und das Fleisch würde ihr guttun!
    Das Haus lag hinter der Stadtmauer; am Ende der schiefwinkligen Straße waren frierende Gefangene gerade dabei, mitBaumstämmen das Senthagener Tor in eine Panzersperre zu verwandeln. Andere nahmen Pflastersteine auf, um sogenannte Einmannlöcher vorzubereiten, für Volkssturmmänner mit

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