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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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überall. Aber schließlich – der Fuchs hätte es ja auch gewesen sein können.
     
    Mit Wirtschaftsdingen wurde Katharina schon lange nicht mehr behelligt. «Ist Ihre Tante da?» wurde gefragt, wenn sie wirklich mal den Telefonhörer abnahm, nachdem es zwölfmal geläutet hatte, und das war ihr auch lieber so.
    «Laß man, Kathi», war gesagt worden, «das macht das Tantchen schon ... », und dabei war es geblieben.
    Auch wenn sie sich um irgend etwas hätte kümmern wollen, man hätte sie nicht gelassen. «Sie ist eine Träumerin», wurde gesagt, «sie macht alles verkehrt.» Mancher war allerdings auch der Meinung, sie sei «überkandidelt», und Eberhard von Globig wurde bedauert: Mit so einer Frau anzusitzen, das war gewiß ein schweres Schicksal. Ging spazieren, wenn andere vor Arbeit nicht aus noch ein wußten? Legte sich auf die Terrasse in die Sonne, wenn Arbeiter schweißgebadet den Roggen mähten? Las immerfort Bücher, war gar schon mal im Wald gesehen worden mit einem Malkasten, die von Efeu bewachsenen alten Eichen abzeichnend, und den Fluß, von Weiden begrenzt ...
    «Das Grab von Elfie siehst du dir wohl nie an?» hatte das Tantchen gefragt, und das hatte einen Riß verursacht zwischen den beiden Frauen, der nicht mehr heilte.
     
    Als sie mit Eberhard zum ersten Mal nach Georgenhof kam, hatte der Schwiegervater ihr im Wald die Ruinen des alten Schlosses gezeigt. Die Stufen des Portals und die nach hinten gekippten Säulen. «Nur um sich die Füße zu wärmen, haben die Franzosen das Schloß angezündet», hatte er gesagt. Er hatte sie immer gern «mein Töchterchen» genannt und sie um die Taille gefaßt. Und dann der Schlaganfall und lange gelegen,und nur Katharina hatte ihm die Kissen aufschütteln dürfen. Hatte an seinem Bett gesessen, und beide hatten geseufzt. Im Testament dann besonders bedacht: «Die Persianermütze, Kind, die gehört dir.» Die Mütze, die der Russe dagelassen hatte, weiß, aus dem Fell eines Lammes gemacht.
     
    Man ließ sie in Ruhe, aber wenn die beiden Ukrainerinnen was auf dem Herzen hatten, wandten sie sich nur an sie. Sie durften sogar mal in ihr Zimmer kommen. Laut weinten sie dort, so laut, wie sie in der Küche sich gegenseitig anschrien. Katharina hatte ihnen Schlüpfer geschenkt, gestopfte zwar, aber noch sehr haltbar, und im letzten Sommer war sie mit ihnen an die Helge gelaufen zum Baden! Man hatte beobachtet, daß sie dort miteinander gelacht hatten! – Auch Röcke und eine Kostümjacke hatte Katharina hervorgekramt und den Mädchen gegeben, die ja so gar nichts hatten. Die karierte Kostümjacke, die Katharina in Cranz getragen hatte, damals, in dem Ostseecafé, «steige hoch, du roter Adler ... », in jenem einzigartigen Sommer, die Segelboote schräg auf dem strahlend blauen Meer? Diese Jacke trug jetzt Sonja, wenn sie ins Waldschlößchen zu den Fremdarbeitern ging, den blonden Kranz um den Kopf.
     
    Ein Nachspiel hatte die Sache mit dem Ausflug an die Helge gehabt. Drygalski war am Ufer erschienen, mit seinen braunen Schaftstiefeln, und hatte sie zurückgerufen, also aus dem Wasser geholt, wie sie da schrien und spritzten. Er hatte gesagt, daß das Weiterungen hat: mit Ostarbeiterinnen baden gehen? Wo gibt’s denn so was? Schwere Stunden hatte es gegeben, aber es war nichts danach gekommen. In Mitkau hatte der Bericht beiseite geschafft werden können. Sarkander hatte das arrangiert. Diese Ostarbeiterinnen seien schließlich freiwillig gekommen ins Deutsche Reich, das müsse berücksichtigt werden.
    Immer schloß Katharina die Tür ihres Refugiums ab, von drinnen oder von draußen, je nachdem, und den Schlüssel gab sie nicht aus der Hand. Wenn jemand bei ihr klopfte, fragte sie gequält: «Ja, was ist denn ... ?», und sie öffnete die Tür nur einen Spalt. Wenn sie auch sonst keine besondere Meinung hatte, in allem nachgab und nie so richtig wußte, was die Glocke geschlagen hatte: hier blieb sie eisern. Irgendwo muß der Mensch auch mal allein sein dürfen. Das Haus war schließlich groß genug!
    Das einzige, was der Tante blieb, in den Stunden äußerster Not: auf den Dachboden zu klettern und über Katharinas Zimmer hin und her zu laufen und mit den Füßen aufzustampfen, daß in Katharinas Ruhe hinein der Staub rieselte. Aber auch dann geschah es selten, daß Katharina sich bequemte.
     
    Meistens lag Katharina auf dem Bett und besah sich in Kunstbänden die lieblichsten Madonnen oder las, oder sie schnitt aus schwarzem Karton Silhouetten für

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