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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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folgte er der Frau: Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Sie trug unter dem Arm einen in Zeitungspapier gewickelten toten Hasen, den wollte sie dem Bürgermeister bringen. Sie wurde auf dem Gang gegrüßt von hin- und hereilenden Sekretärinnen, jeder kannte sie, und alle wußten, daß sie mit dem Bürgermeister gut stand. Als Eberhard von Globig in der Ukraine noch Zuckerfabriken leitete, hatte es mal einen Transfer von Rohzucker gegeben, wovon die Stadt außer der Reihe reichlich bedacht wurde: Zusätzlich hatte noch so mancher gute Freund unter der Hand berücksichtigt werden können.
     
    So pochte sie denn auch, ohne sich in Zimmer Nummer 1 anzumelden, an die Tür des Bürgermeisters, öffnete sie ohne weiteres und trat ein.
    Der Bürgermeister, Lothar Sarkander, ein grader Mann mitSchmissen im Gesicht und steifem Bein, saß am Schreibtisch, unter einem Hitlerbild und reinigte seine Pistole. Er wirkte abgearbeitet und sorgenvoll. Ein ruhiger, besonnener Mann, Volljurist vom Scheitel bis zur Sohle. Graumeliertes Haar bedeckte, sauber mit Brillantine frisiert, in vielen kleinen Wellen, eine hinter der andern auslaufend, seinen schmalen Kopf. Viel graues Haar war in der letzten Zeit dazugekommen. Für die neue Zeit hatte er sich eingesetzt, von Anfang an, nun aber war er «geheilt», wie man es nannte. Zu spät!
    «Heil Hitler!» wurde nicht gesagt, statt dessen legte Katharina den Hasen auf den Schreibtisch – der sah aus wie ein toter Säugling. Sarkander schob die Pistole zusammen und tat sie in die Schublade und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Er wußte von der Stöberjagd, die bei den Globigs veranstaltet worden war, denn er war ja um Genehmigung angegangen worden, und weil er sie ohne weiteres erteilt hatte, war damit zu rechnen gewesen, daß er Besuch bekommen würde aus Georgenhof und einen Obolus bekäme.
     
    Und da war sie nun also, die Frau von Globig, Katharina, schwarzes Haar und blaue Augen, mit Wappenring am Finger, das goldene Medaillon um den Hals, die weiße Persianermütze auf dem Kopf: Sarkander gab ihr die Hand und zog sie an sich und küßte sie auf die Wange, und dabei warf er einen Blick auf den toten Hasen. Und dann wurde erörtert, wie’s dem Gatten geht, im fernen, warmen Italien?
    «Sei froh, Kathi, daß er in Italien ist! Da ist er weit vom Schuß! »
    Sarkander mochte sich noch immer fragen, wieso er die Freundschaft zu dieser Frau nicht regelmäßig unterhielt. Aber er war ein rechtschaffener Mann, und er hatte Frau und Kind.
     
    Im Sommersaal hatten sie gestanden, und die Familie hatte auf dem Rasen gesessen, Onkel Josef mit den Seinen. Die Türen des Saals zum Park hin weit geöffnet «Ist es nicht ein Bild...»,hatte er gesagt und auf das Picknick gewiesen. Und sie beide in dem dunklen Saal? fremd in ihrer Vertrautheit?
    War Eberhard nicht dagewesen an diesem Tag? Oder war er nur eben einen Augenblick in den Wald gegangen, um mit sich ins Reine zu kommen?
    Und sie hatten beide an diese andere, so ganz geheime Sache gedacht, von der eben doch so mancher wußte.
     
    Wenn ich wüßt’,
    wen ich geküßt,
    um Mitternacht am Lido ...
     
    An den einen schönen Tag an der See, einen runden Hut hatte sie auf dem Hinterkopf getragen, wie eine Sonne, und er so ganz in Weiß? Die See, wie sie gleichmütig an die Buhnen geschlagen hatte, und in der Nacht die Lichter der Fischerboote?
     
    Eberhard war nach Berlin gefahren, zur Olympiade, und er hatte sie nicht mitgenommen. «Das mußt du doch verstehen?» – Nein, das hatte sie nicht verstehen können. Und da war sie eben mit Sarkander an die See gefahren.
     
    Sie setzten sich, und Katharina schlug die Beine übereinander – sie trug Reitstiefel – und steckte sich einen Zigarillo an. Die schönen Sommerfeste in Georgenhof ... Der Draht nach oben, für den Eberhard immer gesorgt hatte, daß der so hübsch funktionierte, funktionierte noch immer, trotz des Dazwischenfunkens von Leuten vom Schlage Drygalskis, dieses Proleten. «Die krieg’ ich noch!» hatte er zu dem Bürgermeister gesagt.
    «Ach, wissen Sie, Drygalski ... », sagte Sarkander, «lassen Sie die Leute doch in Ruhe.»
     
    Die beiden tauschten Nachrichten aus, sie flüsterten also miteinander, obwohl sich niemand sonst im Raum befand. Die Panzerkolonne letzte Nacht, der zerstörte Bahnhof, die Häftlinge in der Ziegelei ... Auch von den Russen war die Rede, die an der Grenze standen, und daß sich dort Schlimmes zusammenbraute.
    «Daß es soweit hat kommen

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