Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Vera dunkel und samten sich sanft darunterhaltend. An die Sonnenblumen ihrer Heimat erinnerten sie sich gewiß und daran, daß sie freiwillig nach Deutschland gekommen waren, was eine große Dummheit gewesen war. Eberhard selbst hatte sie ausgesucht und sie gefragt, ob sie nicht Lust hätten, nach Deutschland zu kommen? Er könne das deichseln? – Das ganze Dorf hatte gesagt: «Seid kein Frosch! Geht doch! Deutschland! So was wird euch doch nie wieder geboten? Hier versauert ihr ja! » Und die Mütter hatten gedrängt, und Opa hatte «hum-hum! » gesagt. Und es war doch gar nicht so dumm gewesen, freiwillig zu gehen, denn ein paar Wochen später hätte man sie zwangsweise abtransportiert.
    Nun lag die Heimat in weiter Ferne, die Rote Armee war dorthin zurückgekehrt. Daß die Mütter bei Nacht und Nebel wegen Kollaboration mit dem Feind in den Osten abtransportiert worden waren, davon wußten die beiden nichts. Kein Brief, kein Gruß – auch Brieftauben hätten da nichts genützt. Und nun saßen die Mädels in der Fremde und stritten und sangen. Und Sonja schlug derb zu, wenn Peter sie ärgerte.
     
    Manchmal sah Peter dem Polen Wladimir beim Füttern zu. Die beiden braunen Stuten und der Wallach: bloß nicht den Pferden mit der Forke in die Beine stechen beim Ausmisten! – Das appetitliche Mischen des Futters: Hafer und Häcksel. Der Wallach blies das Häcksel weg, bevor er zu fressen anfing.
    Als Peter noch kleiner war, hatte man ihn eines Tages beim Wallach in der Buchte schlafen gefunden. Das große Tier! Ungebetene Gäste drängte es gern an die Bande.
     
    In der langen Remise standen jetzt nur noch der schwere Ackerwagen und die alte Kutsche. Als man sich von den Ländereientrennte, waren alle anderen Geräte und Wagen verkauft worden.
    Die Kutsche sah so ähnlich wie eine Berliner Droschke aus, sie war mit Lederverdeck versehen, und links und rechts neben dem Kutschbock mit Karbidlaternen in Messingständern. Die schmalen Räder hatten weißen Gummibelag, und hinten in dem ovalen Fensterchen hing der kleine Kranz. Die Kutsche gehörte zum alten Inventar, die war wohl schon immer dagewesen, aber der kleine Kranz hing hier erst seit 1932. – Wenn die Kusinen aus Albertsdorf kamen und «Verstecken» spielten, kroch Peter hinein, und dann konnten sie ihn lange suchen. «Bleib, wo du bist, und rühr dich nicht!»
     
    Einmal hatte Peter mit der Luftpistole nach Krähen geschossen, eine fiel herunter, aber sie lebte noch, schlug mit den Flügeln und lebte immer noch, bis sie sich endlich streckte. Da kam Wladimir aus dem Kuhstall und sah den Jungen lange und ernst an.
    Wenn schon töten, dann richtig. Mit der Axt kam Wladimir von Zeit zu Zeit und griff sich ein Huhn, und ein einziger Hieb genügte, um es zu erledigen. Da lief keines wie Störtebecker an den Genossen vorüber, Leben gab es hier nicht zu retten. Irgendwann kam ein jedes dran, und das ging ruck, zuck. Der Kater, der sich sonst nicht sehen ließ, kam dann sofort herbeigelaufen, der kriegte das mit, daß hier was zu erben war: Der Kopf gehörte ihm: Das war Gesetz und Recht.
     
    Als Peter Ausschau hielt, ob das Baumhaus in der Eiche noch hält und ob er vielleicht mal hochklettern soll und einen Vorrat von Rübenschnitzel dort deponieren?, stoppte ein Bauernwagen auf der Straße, und ein kleiner Mann sprang herunter. Der Mann verabschiedete sich von dem Bauern, der ihn mitgenommenhatte, ging um das Gutshaus herum und betrat es von hinten durch die Küche, in der sich die Mädchen mal wieder stritten. Als sie ihn sahen, hörten sie auf zu schreien und betrachteten ihn stumm.
    Der Mann sah etwas seltsam aus mit seinem langen Mantel. Aber als er den Schal vom Kopf gewickelt hatte, machte er einen ganz normalen, ja, einen pfiffigen Eindruck. Er lachte und sagte zu den beiden: «Was schreit ihr denn? So schlimm wird’s schon nicht sein!»
    Und dann nannte er sie «meine Damen» und fragte, ob er sich etwas aufwärmen darf.
    Ihm wurde ein Platz am Küchentisch freigemacht, und er kriegte sogar einen Becher warme Milch vorgesetzt und ein Honigbrot dazu.
     
    Woher, wohin? fragten die Frauen, und er fragte auch: woher? wohin?, und als dann das Tantchen kam, mit Brosche auf dem Pullover und Pulswärmern an den Handgelenken – woher? wohin? –, stand er auf und sagte seinen Namen und daß er Kunstmaler ist und wie wundervoll es sei, daß er sich hier aufwärmen darf, hier, in dieser urigen Küche, und so eine Gastfreundschaft findet man ja heutzutage

Weitere Kostenlose Bücher