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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nirgends: daß einem hier gleich Milch und Honig angeboten wird, so etwas hat er ja noch nie erlebt. Das habe ja fast biblischen Zuschnitt!
    Er komme aus Düsseldorf, und er reise schon seit Monaten durch die deutsche Provinz und zeichne «das Stehengebliebene», wie er sagte. Der Bürgermeister von Mitkau habe ihn freundlich empfangen und ihn in seiner Stadt «schalten und walten» lassen. Und der sei es auch gewesen, der ihn auf Georgenhof hingewiesen habe, auf den Morgenstern hoch oben im Giebel, und daß hier nette Leute wohnten.
    Woher – wohin: Das war die Frage.
    Als er hörte, daß das Tantchen aus Schlesien stammte, sagte er, Schlesien kenne er wie seine Westentasche. Schon seit zwei Jahren arbeite er an dem großen Werk «Deutsche Provinz», in dem alles «Stehengebliebene» abgebildet sei, von der Partei werde es unterstützt, drei umfangreiche Mappen lägen bereits in Düsseldorf. In Schwaben hatte er das Werk begonnen, dann die Weser, Thüringen. Und eben auch Schlesien. All das war schon erledigt, nun war Ostpreußen an der Reihe, ausgerechnet im Winter, aber er sei schon fast durch. In den nächsten Tagen werde er das Werk mit Allenstein fortsetzen und in Danzig dann abschließen.
    In Schlesien war er vor anderthalb Jahren gewesen, im Sommer! Da herrschte ja tiefster Friede. All die hübschen Kirchlein! Woher? wohin?
     
    Königsberg sei ja jetzt im Eimer, aber er hätte sich dieser Stadt und ihrer Restbestände doch noch angenommen, und da sei noch allerhand zu holen gewesen. Noch so manches habe er retten können für die Nachwelt. Ausgebrannte Speicher, ein aus den Trümmern aufragendes Treppengeländer, und natürlich die Ruinen von Dom und Schloß. Die Engländer hätten ja saubere Arbeit geleistet, das könne man nicht anders sagen. Schöne Stadt, aber: «alles kapores.»
     
    Und nun eben kam er aus Mitkau, dem kleinen Städtchen, das jetzt in Verteidigungszustand versetzt werde.
    Man habe ihn dort festgenommen! Was er da zu suchen hat, sei er gefragt worden und ein paar Stunden eingesperrt in eine dreckige Zelle mit sechs Leuten zusammen, und nicht einmal einen Teller Suppe! Und nur, weil er die Panzersperre vorm Senthagener Tor abgezeichnet hat! Als ob er ein Spion wäre! Seine Zeichnungen habe man beschlagnahmen wollen. Hin undher telefoniert. Der Bürgermeister habe ihn gerettet, tausendmal entschuldigt. Der habe ihm sogar einen Hilfspolizisten beigegeben.
    Ihn einzusperren, wie einen Spion! Mit sechs Leuten in einer Zelle! Und mit was für Typen!
     
    In Mitkau hatte ihn der Turm der Marienkirche von Südosten her interessiert, eine Ansicht, die noch auf keiner Postkarte abgebildet war. – Pastor Brahms – ein eindrucksvoller Mann, so eine Art Luther, aber weshalb hatte er ihn nicht eingelassen? Sich vierschrötig vors Pastorat gestellt? und nicht hereingebeten. «Was wollen Sie eigentlich?» gesagt, anstatt freundlich zu sein und ihn einzulassen? Die Pastoren seien selbst schuld, wenn ihnen die Leute wegliefen.
     
    In der Kirche – sonst ziemlich kahl und düster – hatte er ein paar Kapitelle skizziert und die Kreuzblumen ... und dann den ulkigen Jonas mit dem ulkigen Walfisch. Ob es von dem Bild ein Foto gäb’? Abzeichnen ließe sich so was nicht.
     
    Der Maler hatte sich auch mit dem Kloster beschäftigt, mit dem zugigen Kreuzgang und dem altersschiefen Rempter. Greise waren hustend und spuckend darin umhergeschlurft. Das Refektorium mit dem Christophorus und der Kreuzgang.
    Den holperigen Marktplatz mit dem Rathaus und den kleinen gemütlichen Häuschen drum herum hatte er von allen Seiten gezeichnet. Der Gasthof «Zur Schmiede» mit seinem geschwungenen Giebel. – Die große Brücke fand er weniger interessant, die alte hölzerne Brücke, mit dem holländischen Zug-Mittelteil wäre schon eher ein Motiv gewesen. Aber die hatte ja der neuen Zeit weichen müssen. Die hatte er nur skizziert, um dem Hilfspolizisten eine Freude zu machen.
    Am leidigen Senthagener Tor habe es ihn erwischt, als er die Baumstämme zeichnete, die da quer vorlagen ...
    Er zeigte dem Tantchen das Skizzenbuch wie einen Ausweis vor, und sie identifizierte ohne weiteres die Mitkauer Bauwerke. Die Stadtmauer, das Senthagener Tor – so noch nie gesehen – und das Kloster mit klapprigen Greisen im Kreuzgang. Das wär’ ja bald wie von Rembrandt ..., sagte sie.
    Aber «Rempter»? «Christophorus»? «Kapitelle»? «Kreuzblumen»? Von all dem wußte sie nichts. In ihrer schlesischer Heimat war alles so ganz

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