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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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soll es bedeiten,
    daß isch so traurich bien ...
     
    Heinrich Heine: Das Lied hatten sie in der Schule gelernt. Eberhard hatte sich die beiden beim letzten Urlaub vorgeknöpft, daß sie seiner Frau beistehen sollten, hatte er zu ihnen gesagt. Aber das taten sie ja sowieso, denn Katharina war sanft in ihrer Art. Es hatte nie einen Streit gegeben, sie hatte den Mädchen abgetragenes Zeug geschenkt und dem Polen hin und wieder etwas Tabak.
    Eine andere Sache waren die Ohrfeigen, die Eberhard verteilt hatte im ersten Jahr. «Man muß diese Leute von vornherein hart anfassen», hatte er gesagt. Und das hatten sie bestimmt nicht vergessen ... Die Mädchen waren doch freiwillig gekommen? Und dann Ohrfeigen? Damals hatte er noch gemeint, er müsse forsch auftreten. Das hatte sich dann gegeben.
     
    Auf dem Hof stand Wladimir und hackte Holz. Er hatte wochenlang Holz gehackt, und er hatte es säuberlich zu einer Wand aufgeschichtet.
    Noch immer trug er den Militärmantel und die viereckige Mütze. Einen gestickten Buchstaben trug er auf der Jacke: «P» = Pole. Weiß auf violettem Grund.
    1939 hatte er den Einmarsch der Russen in Polen erlebt, er war von den Sowjets geschnappt und abtransportiert worden. Eine Nachbarin hatte ihn verraten, die hatte, ohne ein Wort zu sagen, auf das Kellerloch gezeigt: daß da ein polnischer Soldat sitzt. Aber im letzten Augenblick hatte er sich davonmachen können. Und dann war er bei den Deutschen gelandet. Auf einem Krad waren sie ihm entgegengekommen, und ins nächste Gefangenenlager hatten sie ihn gebracht.
    Gern hätte Wladimir davon erzählt, daß die Russen seine Kameradenin einen Graben geschubst hatten und erschossen! Aber das behielt er für sich. Dem Tschechen im Waldschlößchen hatte er das mal erzählt, und damit war er sehr schief angekommen. Seitdem war Feindschaft zwischen ihm und dem Tschechen.
     
    Im deutschen Gefangenenlager hatte er das Essen ausgeben dürfen, und dann war er zu den Globigs gekommen, und er hatte gleich das Sagen auf dem Hof. Ihm hatte Eberhard keine Ohrfeigen gegeben.
    Wladimir tat seine Arbeit, und damit war es gut.
    Er besaß eine mit Leukoplast geflickte Brille, die setzte er auf, wenn er in der Bibel lesen wollte, denn Wladimir war fromm. Ab und zu kam der Priester vorbei und sprach mit ihm. Wisperte so hinter der Stalltür ... Einmal hatte er ihm einen Brief gebracht, aus der Heimat. Ja, seine Leute lebten noch. Gleich hinter der Grenze, gar nicht weit. Aber unerreichbar ...
     
    Schon seit Tagen verstärkte Wladimir den großen Wagen mit Brettern. Daß es bald auf die Reise gehen würde, hatte er mitgekriegt. Aus Gumbinnen hatten die Russen im vorigen Herbst nur mit Mühe vertrieben werden können, Luftlinie 60 Kilometer! Die schlimmen Fotos des Massakers, das sie angerichtet hatten, waren in allen Zeitungen zu sehen gewesen. Und das war nur ein Auftakt gewesen, sie würden wiederkommen.
     
    Wladimir hackte Holz, die Mädchen sangen. Und das Tantchen hängte in der Speisekammer die Würste um, sie ordnete sie der Größe nach. «Das werden auch immer weniger», sagte sie laut. «Und die Äpfel müssen umgedreht werden, sonst kriegen sie Stellen!»
     
    Jetzt kam Dr. Wagner, klopfte die Schuhe ab, sagte «Guten Tag» und schnappte sich Peter. «Mein Junge, heute sind die unregelmäßigen Verben dran. Komm gleich mit nach oben!» Für Äpfel hätte er auch Verwendung gehabt, aber die bot man ihm jetzt nicht an. «Was sollen denn die Pfauenfedern?» fragte er, «die bringen doch Unglück! liebe gnädige Frau ... », und Katharina warf sie sofort weg.
     
    Sie stieg die Treppe hinauf und horchte an ihrer Tür: alles still. Und als sie aufschließen wollte, stellte sie fest, daß gar nicht abgeschlossen war. Es war offen!
    Der Gast stand direkt vor ihr, am Ofen, hatte gerade die Jackentaschen nach außen gedreht und klopfte den Staub in den Kohlenkasten.
    «Na, hast du Angst?» flüsterte er.
    Ein bißchen verlegen war er, klein, aber festgefügt, mit groben schwarzen Drahtbartstoppeln. Blaß. Jude? Unter einem Juden hatte Katharina sich was anderes vorgestellt. Dieser Mann war keine phänotypische Karikatur! Nein, das schwarze Haar und dieses nette Zucken der Augen. – War es ein Zwinkern? Zwinkerte er ihr gute Laune zu: Wird schon werden? Oder dachte er an sonstwas? – Als er die Jackentaschen gesäubert hatte, kamen die Hosentaschen an die Reihe. Und dann sagte er: «Es ist ja bald vorüber ... », als müsse er sie trösten.
    Nein, Angst hatte

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