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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sie nicht – der Schrecken saß ihr in den Knochen! Die Tür nicht abgeschlossen! Weshalb? Um ihn nicht einzuschließen?
    Er habe überhaupt nicht schlafen können, sagte er, kein Auge zugetan, wegen des Geruchs da drin, Schokolade! Tabak! Das sei wohl eine Art Schatzkammer? An den Krämerladen seiner Tante erinnerte ihn das, die Glocke an der Ladentür...
    Und nun endlich konnte er sich waschen. Jetzt um diese Zeitwürde das Wassergeräusch nicht auffallen, es hätte ja auch Katharina sein können. Er wusch sich endlos, und dann rasierte er sich mit Eberhards Apparat.
     
    Katharina suchte ein Hemd von Eberhard hervor, wollene Unterhosen und Socken und reichte ihm das durch die Tür. «Ah! » sagte er, «frische Wäsche.» Auch Eberhards Gartenpullover mit dem eingestickten «EvG» warf sie ihm hin.
    Sauber gewaschen und frisch rasiert setzte er sich schließlich an den Tisch. Brot, Eier, Butter und Wurst. Das seien ja Köstlichkeiten! sagte er, an die erinnere er sich kaum noch dem Namen nach ... Und er stopfte alles in sich hinein. Kaute mal nur rechts und dann wieder nur links, zeigte Katharina seine Zähne: «Hier, hinten links! »,den Backenzahn habe er sich selbst gezogen!
     
    Der lange Schlaf, das Essen und das abgeschabte Gesicht. Nur das Haar, es wucherte ihm im Nacken. Katharina überlegte schon, ob sie es ihm schneiden sollte ...
    Er griff immer wieder nach den «Köstlichkeiten», wie er sagte. «Das sind ja Köstlichkeiten!» Sie lebten hier wohl wie die Made im Speck? «Hast du nichts Warmes für mich?»
    Pastor Brahms habe nicht einmal erlaubt, daß er sich die Finger wäscht! Stück Brot in die Hand gedrückt und abgeschoben. «Jeder denkt in Deutschland nur an sich, Egoismus ist groß geschrieben. Nicht einmal die Hand hat er mir gegeben.»
    Dann erzählte er von all seinen Fluchten, von einem Versteck ins andere, in Deutschland denke jeder nur an sich ... Und: mehr Angst als Vaterlandsliebe ..., und er flüsterte wieder sein Erstens, Zweitens, Drittens.
    Es dauerte nicht lange, und der Mann erzählte von schlimmen Dingen, weit im Osten ... Und Katharina hörte das Unglaublichenun zum ersten Mal in allen Einzelheiten. Nichts wußte sie von Aktionen, von Abholungen und Transporten. Oder doch? Hatte Felicitas nicht Andeutungen gemacht, Rätselgeschichten, die sie allesamt gar nicht so richtig mitgekriegt hatte?
    Und Eberhard? Beim letzten Urlaub? Sie solle mal vernünftig sein? In Libau war er gewesen, und er wußte von Vorkommnissen zu berichten, die Katharina alle für sich behalten solle um Gottes willen.
    Vorkommnisse, die man sich nicht vorstellen konnte.
    «Ich bin froh, daß die Dienststelle aufgelöst worden ist», hatte er gesagt, obwohl dort doch Milch und Honig floß.
     
    Der Fremde erzählte immerfort von solchen Vorkommnissen, und zwischendurch guckte er zum Fenster und horchte an der Tür.
    Auf den Dielen hatte er die Stellen markiert, die nicht «knackten», und er ging mit weiten Schritten auf und ab, so als müsse er über große Pfützen schreiten, und dabei repetierte er das Unglück seines Lebens. So wie er da von einer Diele zur andern spazierte, so war auch sein Erzählen: Stück für Stück, lang oder kurz, immer sorgfältig bemessen und geformt und mimisch und gestisch gestützt, repetierte er alles, was ihm widerfahren war.
     
    Früher einmal war es ihm gut gegangen, er war Buchbinder gewesen, in der Staatsbibliothek hatte er beschädigte Bücher restauriert, aber von heute auf morgen hatten sie ihn dann rausgeschmissen. In einem Keller hatte er noch ein wenig weitermurksen dürfen, bis auch das ein Ende hatte ...
     
    Die Frau! Die Kinder! – Der Archivar war zu ihm gekommen und hatte gesagt: «Es ist soweit, wir können Sie nicht mehr halten.»Hand auf die Schulter gelegt. «Lieber Herr Hirsch, wir haben nichts gegen Sie ... » Und dann hatte er ihm noch ein paar Tage lang Arbeit zukommen lassen, in sein Kellerloch hinein, und dann war Schluß gewesen. Von heut’ auf morgen Schluß. Das Werkzeug hatte er ihm zurückgeben müssen.
     
    Dann zählte er es wieder und wieder her, stoßweise und rhythmisch, was ihm alles widerfahren war, und seine Berichte hatten etwas Anekdotisches an sich, dramatisch durchgeformt, mit Akzenten versehen und von wirkungsvollen Gesten unterstützt. Er habe es satt! sagte er zu Katharina und sah ihr ins Gesicht, gründlich satt!
     
    Etliches gab er doppelt und dreifach von sich. Das eine oder das andere hatte Katharina ja schon zur Kenntnis

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