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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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fror. Sie stand vor ihm und dachte: Nun haben wir die Bescherung.
     
    Daß er mit einer jungen Frau das Zimmer teilen würde, kam dem Mann nicht weiter sonderbar vor. Er hatte schon ganz was anderes erlebt. In Kellerverschlägen gehockt, in Wäschetruhen gelegen. Davon erzählte er jetzt. Vier Jahre lang war er bereits auf der Flucht! Aber er lachte nicht über all seine Abenteuer. «Stell dir das mal vor», flüsterte er, und Katharina gab ihm eine Zigarette nach der andern und wunderte sich nicht darüber, daß er sie duzte.
     
    In dem Augenblick klingelte das Telefon. Sie schraken zusammen. Laut klingelte es! Unheimlich! Der Mann wich zurück, und Katharina nahm den Hörer ab, schnell, damit das Tantchen nicht womöglich gelaufen käme: «Was ist denn? Ist da was?» Der Anruf kam vom Generalkommando in Königsberg – eine fremde Stimme fragte, ob Frau von Globig da sei? «Am Apparat? – Einen Augenblick? Nicht auflegen!» – Dann machte es Knack!, und dann hörte Katharina ganz von fern ihren Mann sagen: «Bist du es, Kathi? Hörst du mich? Kannst du mich verstehen?» – Er sitze gerade bei einem Glase Wein in seinem Quartier, hoch über dem Gardasee, und betrachte das Sternenzelt – «der Gardasee, weißt du noch?» –, der Bataillonschef habe Geburtstag ... «Bist du allein?» – Und nun soll sie mal gut zuhören: «Sofort die Sachen packen und auf und davon! Ja? Wegfahren, alles stehn und liegen lassen ... Gleich morgen früh! ... Die Russen kommen! Am besten zu Tante Wilhelmine nach Hamburg!»
    Und dann war die Verbindung auch schon unterbrochen.
     
    «Das war mein Mann ... », sagte Katharina. «Merkwürdig, als ob er etwas ahnt ... » Und dann redete es aus ihr heraus, Eberhard, immer so förmlich, hölzern, abweisend ... Das, was sie nur empfunden hatte, aber niemals ausgesprochen, das pladderte aus ihr heraus.
     
    Der Fremde war blaß geworden, und er beruhigte sich nur allmählich. «Es war mein Mann», sagte Katharina, «der ist in Italien.»
    «Ja», sagte er, «so ist das in der Ehe», und er behielt es für sich, was er hätte sagen können.
     
    Dann setzte er sich an den Tisch und gab flüsternd all seine Geschichten von sich: von Berlin, daß er sich dort schon seit Monaten verborgen gehalten hat, nun wolle er dem Russen entgegengehen ... Und Katharina gab ihm zu essen und zu trinken. Bratkartoffeln kalt, mit Blutwurst, die der Mann eigentlich nicht mochte. Auch einen Apfel gab Katharina ihm, er drehte ihn ein paarmal, lächelte und biß hinein.
    Auf dem Stuhl saß er, auf dem Eberhard immer gesessen hatte. Aber Eberhard hatte hier immer nur wie vorläufig gesessen, hatte aus der Meerschaumspitze eine Zigarette geraucht, solange das eben dauerte.
     
    Lange Geschichten erzählte er ihr, die Geschichten seines ganzen Lebens, und er machte das erstens, zweitens, drittens ab, er hatte das alles wohl schon oft erzählt. Endlich hielt er inne, und Katharina zeigte ihm die Abseite, daß er sich darin verbergen könnte. Probeweise untersuchte er den Unterschlupf, die Decken darin und die Matratze. «Ah», sagte er, «das ist ja wie im Mutterleib!» Und dann: «Es riecht hier gut ... Da sind wohl gute Sachen drin», und er blieb dort gleich liegen.
    Jetzt im Winter hätte er dort gewiß gefroren, wenn nicht der Kamin gewesen wäre, an dessen Schornstein er sich schmiegen konnte. Die Auspolsterung mit Decken und Kissen. Auch eine Nachttischlampe hatte Katharina hineingestellt, die gab Licht und etwas Wärme. Nur vorsehen mußte man sich, daß kein Lichtschein unter den Dachpfannen hindurch nach draußen drang.
    Er machte es sich bequem und wickelte sich in die Decken, und als Katharina die Tür schloß, sagte er: «Das erinnert mich an zu Hause, als Kinder haben wir uns auch solche Höhlen gemacht.»
     
    Katharina legte sich auf das Bett und horchte, sie hörte das Blut in ihren Schläfen klopfen.
    Jetzt wälzte er sich in der Abseite und räusperte sich.
    Als endlich Ruhe eingetreten war, dachte sie an Eberhard: Alles stehen- und liegenlassen, hatte er gesagt, und: gleich morgen? Wie stellte er sich das vor? Wie sollte man das denn machen? «Bist du allein?» hatte er gefragt.
    Und der Mann in seinem Versteck dachte an die dunklen Tage, die vor ihm lagen. Es war ja eigentlich ganz ausgeschlossen, daß er es schaffen würde.
    Hoffentlich ist bald Schluß, dachte er.

Der eine Tag
    A m nächsten Morgen kroch der Mann lange nicht hervor aus seiner Höhle. Katharina saß im Sessel und horchte, aber

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