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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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aus der Abseite kam kein Mucks. Ab und zu war es ihr so, als ob er sich darin drehte und wendete, und manchmal hörte man ihn schnaufen.
     
    Aus dem Nachtschrank nahm sie ihre Schmuckschatulle und probierte Ringe auf. Sollte sie sich denn ihre Perlenkette umlegen? Das Medaillon, das sie immer trug, nahm sie ab.
    Das Radio anstellen? Besser nicht, das würde ihn aufwecken. Und wenn er bereits wach war, ihn aus seiner Höhle herauslocken. Und dann säße er da, und was sollte sie denn mit ihm anfangen?
    Und dann der lange Tag!
    Sie blätterte in einer alten Zeitschrift und horchte.
     
    Man hatte sich zwar an ihr Eremitendasein gewöhnt: «Immer sitzt sie da oben herum ... », und das Tantchen sagte gelegentlich: «Sie hat zwei linke Hände» und: «Sie sieht die Arbeit nicht», und es geschah, daß man sie überging, wenn es was zu tun gab. Aber jetzt dachte Katharina: Ich könnte ja mal ein wenig mit anpacken, da unten. Und sie legte die Zeitschrift zur Seite und stand auf.
    Sie schrieb einen Zettel: «Bitte sehr leise sein! Ich komme gleich wieder!», den deponierte sie vor seinem Türchen. Und dann ging sie rasch und geräuschlos hinaus, damit er nicht etwahervorkriechen würde aus seiner Höhle und «Halt!» rufen. Vielleicht war er ganz froh, allein zu sein?
    Kam noch einmal zurück und schloß das Nachtschränkchen zu, in dem ihr Schmuck lag, und ging hinunter.
     
    In der Halle war es kalt. Die Fenster standen offen, Sonja machte sauber. Peter saß am Tisch und sah in sein Mikroskop. Er hatte einen Tropfen von dem Heusud auf das Objektiv gelegt, ob sich schon etwas regt? Aber da lag noch alles still und stumm. Noch war die Welt nicht erschaffen, wie sehr er auch am Tubus drehte. Sonja, mit Kranz um den Kopf, durfte mal hindurchsehen, nein, da regte sich nichts.
    «In der Ukraine haben wir viel größere Mikroskope», sagte sie und ging hinaus.
     
    Katharina trödelte von einem Zimmer ins andere.
    Im Billardzimmer, kalt, lagen drei Kugeln auf dem Tisch. Sie stieß eine an, die rollte an die Bande, kam zurück und lief ins Leere.
    Das Geschirr einräumen: die Teller – alle angestoßen! – Aber was war dagegen zu machen?
    Das Silber – sie zählte die Teelöffel, und das kam ihr komisch vor, es waren drei zuwenig! – Alle lagen fein in Samt gebettet eng nebeneinander, aber nicht vollständig! In der Tauentzienstraße hatte sie sich doch auf vierundzwanzig Personen eingerichtet?
     
    Nun kam das Tantchen, und als sie sah, daß Katharina sich am Besteckkasten zu schaffen machte, rief sie: «Was machst du denn da? – Was soll denn das?» Und sie nahm ihr den Kasten aus der Hand.
    «Teelöffel fehlen?» – Sie weiß es auch nicht, Teelöffel gehenleicht mal verloren, die wischt man denn so mit dem Sauerkraut in den Abfalleimer ... Vielleicht sind sie ja noch in der Küche?
    Oder etwa die Mädchen? – Aber die wohl nicht, die mußten ja damit rechnen, daß man sie kontrollierte ...
    Und dann sah sie Katharina an und sagte: «Du siehst ja aus wie Glaube, Liebe, Hoffnung! Als ob du die ganze Nacht durchgetanzt hast ... »
     
    Der Pfau war in der Nacht gestorben. Er war von seiner Stange gefallen und lag auf der Tenne. «Soll ich ihm nicht ein paar Schwanzfedern ausreißen? Als Zierde würden sie sich gut machen?» fragte das Tantchen.
    Und noch etwa Neues gab es: «Denk mal – Drygalski horcht nun schon an den Fenstern!» – Sie habe Fußspuren entdeckt, vom Trampelpfad aus zum Saal hin, er sei also offenbar vom Park her auf die Terrasse gestiegen – deutlich die Spuren zu sehen. «Die habe ich natürlich sofort weggefegt. Womöglich steigt er eines Tages sogar zu dir hinauf!» – «Fensterln» nenne man das in Bayern.
    Katharina faßte sich an den Kopf. Die Spuren! Daß sie daran nicht gedacht hat!
     
    Peter besah sich inzwischen sein eigenes Auge, das von dem kleinen Spiegel übergroß in den Linsen reflektiert wurde. «Man sieht sein eigenes Auge», sagte der Junge. Und als er es ihr zeigen wollte, man könne sein eigenes Auge sehen, riesengroß!, schrie sie: «Nein!»
    «Was ist denn los mit dir?» fragte das Tantchen. «Seit wann bist du so gereizt?», und sie ließ es sich von Peter zeigen, das eigene Auge, wie es einen anguckt, unverwandt und ernst.
     
    Katharina schloß die Fenster und setzte sich an die Schatulle, die aufgestellten Fotos und die Tassen, alles wegschmeißen? alles kaputtschlagen? Hier hatte doch immer Eberhards kleine angekokelte Meerschaumspitze gelegen? Sie würde sich schon

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