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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wär’ ich doch ... »
    Und Katharina dachte: Wär’ er doch ...
    Sie studierten die Landkarte, Kopf an Kopf, wie weit es bis zur Grenze ist, wo mag der Russe stehen?
     
    Zwischendurch griff der Fremde sich das Blaue Buch «Deutsche Dome», das auf dem Tisch lag. Jaja, die Deutschen, sagte er. Aus ist’s mit der Herrlichkeit.
    Er trat an die Bücherregale, golden bronzierte Konsolen? und zog einzelne Bücher heraus. Stefan Zweig? Damit solle sie sich man nicht erwischen lassen. Er legte das Buch neben die «Deutschen Dome». Auch ein Buch von Jakob Wassermann fand sich, «Das Gänsemännchen». Und Katharina hatte überhaupt nicht gewußt, daß diese beiden Dichter Juden waren.
     
    Sollte sie ihm ihre Scherenschnitte zeigen? Oder die Fotoalben? Sie duzte ihn nicht, sie sagte «Herr Hirsch» zu ihrem Gast, und: Sie müsse nun nach unten, sonst falle das auf. «Schon gut, Frau von Globig», sagte er. «Schon gut.» Und das sagte er so, als sei es lächerlich, daß sie eine «von» ist.
    Sie ließ ihn allein. Schloß zweimal ab, ritsch, ratsch, und ließ ihn zurück, wie er da von einem Zimmer ins andere geisterte und seine Erlebnisse memorierte.
     
    Sie setzte sich die weiße Persianermütze auf und lief in den Wald.
    Bloß die Zeit rumbringen, dachte sie, nicht wieder schlimmeGeheimnisse zugeflüstert bekommen und endlose Geschichten von Frau und Kind.
    Es war die Frage, ob es dem Tantchen nicht aufgefallen war, daß sie eben so ritsch, ratsch zweimal abgeschlossen hatte? Würde sie fragen, ob das neue Sitten sind?
    Katharina lief bis an das Ufer der Helge. Das Eis lag glatt und grau vor ihr. Der Wind pfiff ihr um die Ohren. Nebelkrähen krächzten über sie hin. Am Ufer krumme Weiden. Und in der Ferne die große Brücke. Die würde der Fremde meiden müssen, bei seiner Flucht. Wahrscheinlich würde sie bewacht sein. Übers Eis gehen, das war sicherer, ein kleiner dunkler Punkt auf grauem Eis?
     
    Am Ufer lag Holz in Raummetern gestapelt. Es hätte schon im Herbst abgeholt werden sollen. Nun wurde es immer weniger. Und das sah sie dann auch, daß das Boot nicht hereingeholt worden war, im Herbst, und nun war’s vom Eis eingeschlossen und verrottete. So verludert alles, wenn kein Mann im Hause ist, dachte sie.
     
    Sie ging am Ufer entlang, auf dem Eis. Der Wind pfiff ihr ins Gesicht. Immer weitergehen, dachte sie, fortgehen und nie wiederkommen.
     
    Auf dem Rückweg kam sie am Grab der kleinen Elfriede vorüber. Sie warf einen kurzen Blick darauf. Für das Grab war ein Obelisk vorgesehen, und der Park sollte später auf das Grab hin umgestaltet werden. Und das war dann unterblieben. Pastor Brahms hatte recht gehabt mit seinen Vorbehalten. Wieso nicht auf dem Gemeindefriedhof das Kind zur Ruhe betten, dort, wo alle liegen? «Wollen Sie denn eine Extrawurst?» hatte er gefragt. «Der alte Herr von Globig liegt doch auch dort?»
    Sie blieb stehen, und ihre Gedanken glitten zurück. Eberhard hatte das Kind weggeschoben, wenn es ihn umhalste.
    «Ist es nicht ein Bild?» hatte Sarkander im Sommersaal gesagt. – Sie erinnerte sich in dieser Stunde auch daran, daß Lothar Sarkander einmal vor dem Grab gestanden hatte, und er hatte nicht gemerkt, daß sie das sah!
     
    Sie machte einen kleinen Umweg. Bloß nicht so bald zu dem Mann da oben. Die Ruinen des alten Schlosses waren mit Schnee bedeckt. In den zugeschütteten Gewölben hätte sich kein Flüchtling verbergen können.
    Sie hätte jetzt gern mit den Leuten im Waldschlößchen geredet. Es war doch sogar ein Italiener dabei ... Nie näher angesehen diese Leute. Vielleicht gebildete Menschen? Doch auch nicht freiwillig hier und gewiß auch einsam – so ganz ohne Frauen?
    Nie groß beachtet.
     
    Jetzt trat der Tscheche aus der Hintertür, der Mann mit seiner ledernen Mütze, und er erschrak, als er Katharina sah: Holz wollte er aus dem Wald holen, also stehlen. Katharina grüßte ihn und machte eine Handbewegung, als wolle sie sagen: «Bedienen Sie sich.»
    Der Tscheche war nicht freundlich. Ins Gutshaus war er schon einmal vorgedrungen, und Wladimir hatte ihn fortgejagt.
    Er kann sich ruhig Holz holen, sagte Katharina zu ihm.
    Das tut er sowieso, sich hier Holz holen, sagte er. Das kann sie sich doch denken.
    Katharina sah auf die Uhr, sie hätte gern noch etwas mit dem Mann gesprochen, aber der machte sich gleich an die Arbeit, knickte Äste ab. Sie sah ihm zu. Sollte sie ihm denn helfen?
    Auf dem Rückweg traf sie auf Drygalski. Der wollte auch in den Wald,

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