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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gingen schließlich vor?
     
    Als Drygalski endlich ging, Heil Hitler – das ganze Haus atmete tief durch –, sagte er noch, wenn Peter wieder gesund sei, die Mandeln abgeschwollen, dann solle er sich einreihen bei der Hitlerjugend! Und zwar «zoffort»!
    Der Hund Jago rollte sich wieder ein, wenn er auch die Ohren spitzte, und das Tantchen beugte sich über ihre Koffer – es war alles nicht so einfach – und trug sie erst mal wieder hinauf in ihr Zimmer.
    Katharina schloß sich ein. Und jetzt erst, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, standen ihr die Haare zu Berge. «Es hing am seidenen Faden», sagte sie laut. Wenn Drygalski nun einen Tag eher gekommen wäre und den Juden entdeckt hätte! Dann wäre alles aus gewesen. Was für eine Fügung, daß der Mann schon in der Nacht weitergezogen war. Noch ehe die Front aufbrüllte, war er davongehuscht.Wo mochte er jetzt stecken? Am Ende käme er womöglich noch einmal zurück? Vorm Feuerwall wie vor einer Dornenhecke zurückgeschreckt?
    Sie warf sich aufs Bett.
    Das Wagestück war vorüber. Oder kam da noch was nach? Würde es ihr anhängen?
    Katharina nahm von ihrem Nachtschrank das Röhrchen mit den Tabletten. Davon nahm sie eine, und dann war schon bald alles gut.
    «Es hing am seidenen Faden.»
     
    In diesem Augenblick rief Onkel Josef aus Albertsdorf an. Er hielt den Hörer zum Fenster raus, ob sie das hört? Und ob sie weiß, was das bedeutet?
    Und er riet ihr, sich sofort auf den Weg zu machen. Sie selber blieben wohl in Albertsdorf, die drei Töchter und Hanna mit ihrer Hüfte ... Der könne man eine Flucht nicht zumuten. «Den Kopf werden uns die Russen schon nicht abreißen.»
    Und sofort nahm Katharina noch eine Tablette aus dem Röhrchen. Davonfahren mit Sack und Pack? Würde das nicht wie Flucht aussehen?

Der Baron
    A m Nachmittag wurde Elfriedes Zimmer dann von einem baltischen Baron und seiner Frau besetzt, Hitlerjungen trugen ihnen die Koffer, Heil Hitler. Die Puppenstube und das Kaspertheater konnten ruhig stehenbleiben, das alles störte nicht. Ob das Mädchen damals in diesem Bett gestorben sei, wollte der Baron allerdings wissen, und er nahm das Porträtfoto der Leiche vom Kissen und drückte es dem Tantchen in die Hand. Das hatte hier ja nun wohl irgendwie ausgedient?
    Die Frau Baronin kniete sich unterdessen vor das Theater, zog den Vorhang auf und zu und legte die Kasperfiguren in den Kasten. «Ja, der Teufel!» sagte sie, «der ist immer dabei.»
    In der Puppenstube stellte sie die Stühle richtig hin. Ein runder Tisch, und im Sessel räkelte sich ein Herr, der räkelte sich da schon lange.
     
    Der Baron saß im Sessel und sah seiner Frau zu. So geschickt! So anstellig! «Tatkraft», das war das richtige Wort. Zupackend war sie, die Frau, und sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Sie schob das Sofa neben das Bett. Das Bett würde für ihren Mann sein, sie selbst würde auf dem Sofa schlafen, das war irgendwie selbstverständlich.
    «Das macht mir gar nichts aus.»
    Das Bett müsse man nur frisch beziehen, das sei wünschenswert, dann wär’ alles in Ordnung. Das Bettzeug stamme doch wohl nicht noch von damals? Das war doch wohl kein Leichentuch?
     
    Der Baron, der kein Junker war, sondern Buchhalter einer chemischen Fabrik, benahm sich, als sei er in diesem Haus ein alter Bekannter. «Das kriegen wir schon!» sagte er und ließ seine Frau weiterwirtschaften. Er mußte sich erst mal umsehen, wo man hier gelandet war. Er ging von Zimmer zu Zimmer und regte an, diesen alten Ohrensessel da lieber woanders hinzustellen und die Schatulle auf die andere Seite. Und Katharina nannte er «gnädige Frau» und gab ihr, als es sich machen ließ, einen Handkuß alter Art. Er schnappte sich den Kater, und dieses Tier, das sonst immer nur auf der Flucht war vor den Menschen, schmiegte sich an ihn, und er hielt es fest im Arm.
     
    Eine große Attraktion für das Haus war der schwarze Papagei, den die Leute mitbrachten. Allzu vertraulich durfte man nicht sein mit dem Tier, dann hackte er zu. Manchmal reckte er die Flügel, erst rechts, dann links, und manchmal rief er «Lora! » in die Gegend, manchmal auch «Alte Sau! » Den Kater guckte er ruhig an. Der guckte ihn auch an, der hatte die Pfoten unter sich gezogen. Man würde sehen, wie sich die Dinge entwickelten. Immer ruhig Blut! Daß man dem Vogel Walnüsse gab, war dem Kater nicht recht, obwohl der die doch gar nicht mochte. Die Walnüsse hatte der Baron in seiner

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