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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ihn Dr. Wagner hin, der hinter ihn getreten war: «Mit so was sollten Sie sich beschäftigen!» rief er.
     
    Auch Dr. Wagner wollte Katharinas Wohnung sehen, die Gelegenheit war günstig. Er stellte sich auf die Zehenspitzen: Auf dem Nachttisch lag ein geöffnetes Tablettenröhrchen? – Er konnte einen Blick auf die «Kauernde» werfen, ein Weibsbild, das ja wohl nackicht war? Unnatürlich war die Haltung – aberder Künstler mochte sich etwas dabei gedacht haben. Die Medea an der Wand war ein ganz anderer Schnack als diese verdrehte Gestalt dort auf dem Podest.
    Diese Frau lebte hier recht gemütlich, das war zu sehen: kleine Sesselchen, und auf dem Tisch ein Obstteller mit Äpfeln? Regale voll mit Büchern? Ein hübscher Wintergarten, jetzt von klarer kalter Sonne beschienen? Er dachte an seine eigene, sehr dunkle Wohnung in Mitkau, in der Horst-Wessel-Straße, an der immerfort Fuhrwerke vorüberfuhren zum Schlachthaus und sonstwohin, und er sah, wie schön es Katharina hier hatte. «Manchen gibt’s der Herr im Schlafe.»
    Gewiß, er hatte es auch behaglich, sein zwar dunkles, aber geräumiges Studierzimmer, das Eßzimmer mit dem Seestück über dem Büfett, das Herrenzimmer und das Schlafzimmer ... und sogar noch eine kleine Kammer zum Hinterhof hinaus, in der seine Mutter gestorben war: Auf dem Fensterbrett stand noch immer ein Hyazinthenglas mit einer verwelkten Hyazinthe darin, das Wasser darin gewiß voll toten Planktons. Alles wunderbar, aber: Fuhrwerke fuhren vorüber, sehr oft! Es war oft nicht zum Aushalten!
    Und hier? Hier hatte alles einen ganz besonderen Stil? Orangerote Stores? Warum hatte man sich keine orangeroten Stores gekauft? Und: ein Ausblick auf den Park?
     
    Drygalski stieg wieder hinunter und besichtigte den Sommersaal – unbeheizbar und steht voll Kisten und Kasten? Und: «Nicht zu verdunkeln!», wie das Tantchen bemerkte. – Auch ins Billardzimmer wurde ein Blick geworfen, und er stieß eine der Kugeln an, und die traf sofort eine andere, und die knallte gegen eine dritte. War Drygalski denn ein Mann, der immer traf?
    Die Halle inspizierte er so, als ob er die Möbel mit Kreidekreuzen für eine Auktion markieren müsse.
    Aha, Bilder. «Sind das die werten Ahnen?»
    Und die Ahnen guckten zurück mit ihren aufgerissenen Augen. Ahnen, die ihr Lebtag zum Deutschtum gestanden haben mochten.
    In der Halle könne durchaus Stroh ausgebreitet werden für einen Sammeltransport, sagte er nachdenklich, das Waisenhaus von Tilsit stehe noch zur Belegung an ... Doch hier mischte sich das Tantchen schnell ein. «Aber die Toiletten», sagte sie, «die reichen für eine solche Belegung denn doch wohl nicht hin und nicht her.» Die vorhandenen seien sowieso dauernd verstopft, daran seien die beiden Ukrainerinnen schuld.
     
    Drygalski stand in der Halle, genau in der Mitte, unter dem aus Geweihen verfertigten Kronleuchter, und sann nach, ob man den Sommersaal nicht doch irgendwie flottkriegen könnte und die Halle und das Billardzimmer ..., und die Frauen standen um ihn herum und überlegten, wie das zu verhindern wäre, und sie beobachteten ihn, wie er da stand und nachsann. X-Beine hatte er, der Amtsträger, das war nicht zu leugnen. – Komisch sei das, sagte Drygalski, der General da unten, daß der nicht inmitten seiner Soldaten gefallen sei, sondern durch einen Autounfall umgekommen. Gerade jetzt, wo die rote Flut anbrande – ein solcher Mann sei doch gewiß schwer zu ersetzen. – Das Leben habe er ihm ja nicht gerettet, aber doch irgendwie den Tod. Er sei es gewesen, der es veranlaßt habe, daß er in ein Haus getragen wurde. Und die Gemahlin benachrichtigt, in Hamburg. Sieben Kinder!
    Der Fahrer werde gewiß zur Rechenschaft gezogen werden. Vielleicht wäre es besser gewesen für den, wenn er mit draufgegangen wäre.
    Den Keller noch besichtigen? – 1605? – Mit dem Keller war nichts anzufangen, da stand das Wasser fußhoch. – Den hätte man ja auch schon längst mal trockenlegen können! «Unter uns gesagt.»
    Eine richtige Schluderwirtschaft war das. Naja, diese Adeligen.
     
    Er stand noch immer in der Halle, neben den bereitgestellten Koffern, und das Grummeln schwoll an und ab. Und er mochte an seine eigene Frau denken, was mit der anzufangen sei, wenn’s ernst wird. Auf dem Hof der Ackerwagen der Globigs – ob man auf dem Wagen nicht noch eine Lagerstatt unterbringen könnte für seine Frau? War doch riesengroß, das Ding? Dafür ein paar Kisten und Kasten herunternehmen. Menschen

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