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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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brat’ mir einer einen Storch», sagte Dr. Wagner laut und deutlich, und danach war es eine Weile ganz still.
     
    Er habe in Cranz mal den deutschen Kronprinzen gesehen, sagte der Baron, vor dem Krieg, überschlank und ganz in Weiß ... Die Kurkapelle hatte Walzer gespielt, und der Kronprinz weiß auf einer weißen Yacht von jungen Damen umgeben. «Ein richtiger Windhund!» sagte er. Katharina von Globig, die mit der Baronin auf dem Sofa saß, hatte keine besonderen Beziehungen zum Kronprinzen, aber als Berlinerin paßte es ihr nicht, daß der Balte den Kronprinzen einen Windhund nannte. Was Cranz anging, das Ostseebad, da hatte sie so ihre eigenen Gedanken. Steige hoch, du roter Adler! Es hatte blutigen Dorsch zu essen gegeben, und unter dem Bett hatte ein nicht ausgeleerter Nachttopf gestanden. – Die angekokelte Meerschaumspitze: mit dem Trinkgeld hatte Eberhard geknausert, Apfeltorte mit Schlagsahne, da hatte er noch schnell einen Groschen eingesteckt, bevor der Kellner kam.
     
    Während die Männer sich miteinander befaßten, bewunderte die Baronin Katharina, das schwarze Haar, die blauen Augen. Sie ließ sich sogar ihre Hände zeigen! Was sie für schöne Hände hat ... Da mußte Katharina an die Hände des Buchbinders denken, die sie mit Leukoplast beklebt hatte. – Sie überlegte, ob sie diese Frau nicht mal zu sich nach oben in ihr Zimmer einladen sollte: Hier vorm Kamin kam man nicht recht zu Wort. Frauen sind so ganz anders? Die Geschichten, die der Baron zum besten gab, mochte seine Frau schon oft gehört haben. Aber sie war nachsichtig mit ihrem Mann. Sie ließ sich nichts anmerken.
     
    In der Nacht gab es dann andere Unruhe im Haus. Zuerst dachten die Globigs, sie hören nicht recht ... Aber während über den schwarzen Himmel Lichtreflexe zuckten, war aus Elfriedes Zimmer klar und deutlich die Stimme des Barons zu vernehmen: «Alte Sau! » hörte man ihn schimpfen, und damit meinte der feudale Herr ganz offensichtlich seine junge Frau! Was die Frau darauf antwortete, war mehr ein Jaulen. Und der Mann klar und markig: «Alte Sau! », und es wurde rumort und hin und her gegangen, bis das Tantchen an die Wand klopfte, zuerst zaghaft, dann sehr energisch. Und da war dann Ruhe im Schiff.

Die Flüchtlinge
    D er Wind pfiff aus Westen, er heulte ums Haus und rüttelte an dem maroden Dach. Das Trommelfeuer war vor lauter Krach kaum zu hören. Sollte der Kelch an uns vorübergegangen sein? fragten sich die Leute. Aber nein, es grummelte noch.
    Ein harter kalter Eisregen fuhr in die Eichen. Und dann kam der große Treck! Zunächst nur ein paar Wagen, einzeln, still für sich, dann dicht an dicht, einer hinter dem andern. Man sah sie schon von weitem heranziehen über die Brücke, in endloser Reihe, mit flatternden Planen, durch Mitkau hindurch, durchs Senthagener Tor fuhren sie, und an Georgenhof vorüber. Wagenkolonnen, die eisern zusammenhielten, Rittergüter, mit einem Treckführer per Pferd vorneweg.An den Wagen hatten sie den Namen ihres Dorfes stehen, damit man sich nicht verliert. Und einzelne Gefährte, komfortable und sehr kümmerliche. Ackerwagen, über und über bepackt, und hier und da sogar ein Auto mit Benzinfaß hinten drauf.
    Still zogen sie dahin, nur das Knirschen der Räder war zu hören und das «Hoho – Hü» der Kutscher, meist Frauen. Die Pferde rutschend, mit Dampfstrichen aus den Nüstern, hinter den Wagen zwei, drei Pferde zur Reserve. Oben auf den Wagen kleine Hütten, solide oder nur eben rasch zusammengetischlert, mit Dachpappe oben drauf oder Teppichen. Heuballen für die Pferde an Stricken unter dem Wagen hängend. Junge Mädchen zu Fuß, mit Kindern an der Hand, nebenher. Und unter den Wagenachsen liefen Hunde mit. Einzelne Fußgänger zwischendurch, mit Rucksack und Kinderschlitten. Den Kopf hielten sie gesenkt.
    Den Kragen hochgeschlagen. Fahrräder, Kinderwagen, Handkarren.
    Wo hatte man so etwas je gesehen?
     
    War es eine Täuschung, oder flog Herr Schünemann, der Nationalökonom, zwischen all den Wagen auf seinen Krücken vorüber? Hob er eine Krücke zum Gruß empor? Die Tasche an einem Riemen über den Rücken geschnallt. Bayern 3 Kreuzer stumpfblau und der Mecklenburger Büffelskopf? 4/4 Schilling fleischrot?
     
    Am nächsten Tag sah man Herrn Dr. Wagner und den Balten am Billard stehen. Sie rauchten und machten Konversation ganz comme il faut. Der Baron in seinem karierten Anzug und Wagner mit seinem dritten Schlips, den kleinen Orden am Revers. Der runde Ofen,

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