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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mit Sack und Pack, ein Zimmer müsse dafür geräumt werden, «und zwar zoffort!»,man könne diese Leute ja nicht gut im Kuhstall unterbringen.
    Er zog eine Verfügung aus der Tasche und zeigte sie vor. «Bei Nichtbefolgen ... » und so weiter. Und dann ließ er sich Elfriedes Zimmer zeigen, das seit zwei Jahren leer stand.
    Die Puppenstube, mit Möbeln fein eingerichtet, das Puppentheater, in dem Kasper, Tod und Teufel über der Brüstung lagen, auch die Strickhexe, aus deren Bauch eine meterlange Schnur heraushing. Über der Tür ein weiß gerahmtes Bild mit nackichten Heinzelmännchen, die ein Blumengebinde in die Höhe heben.
    Und an der Wand über dem Bett: «Lasset die Kindlein zu mir kommen», Markus 10, Vers 14, ein Stahlstich des Heilands, wie er den Kleinen die Wange tätschelt, und die Großen stehen nachdenklich seitab. Der stammte noch von den Großeltern. Im Schrank lagen die Sachen des Kindes. Wäsche und Pullover, da hingen auch die Kleidchen, die schwarze Strickjacke mit der grünen Passe und den Silberknöpfen, die sie sich so gewünscht hatte. Motten schwirrten heraus.
     
    Das Bett war weiß bezogen: Auf dem Kopfkissen das Foto des toten Kindes, krause Zöpfe und das Haar krisselig, und die Hände gefaltet um einen Maiglöckchenstrauß.
    Na, wunderbar, das Zimmer sei doch groß genug, sagte Drygalski und zog die Vorhänge zur Seite. Fenster auf: mal ordentlich frische Luft reinlassen. Schön nett sein zu den Volksgenossen, die hier aufzunehmen waren, die hätten Schlimmes erlebt!
     
    Am Fenster stand er eine Weile und lauschte dem Grollen. Hinter ihm das Tantchen und Katharina, die lauschten auch. Aber in der Siedlung stieg, wie immer, Qualm aus jedem Schornstein.Da sah man die Menschen sogar Schnee fegen. Es hatte alles seine Ordnung.
    Um was für Leute handle es sich bei der Einquartierung? fragte das Tantchen. Und wieviel Miete könne sie von denen verlangen?
    Das ärgerte Drygalski, und er schrie was von Volksgemeinschaft! und der Ton, den er anschlug, war ganz unmöglich. «Miete? Was denken Sie denn, diese Leute haben alles verloren! »
    Ein Jammer, daß die Eisenbahnstrecke unterbrochen war, sonst hätte man die Flüchtlinge gleich weiterleiten können, ins Reich. Organisatorisch wäre das ohne weiteres zu machen gewesen!
     
    Nun kam auch Studienrat Dr. Wagner aus Peters Zimmer, Heil Hitler, und stellte sich dazu.
    Ob die Front halte? wollte er von dem Amtsträger wissen. Und in diesem Augenblick schwoll der untergründige Lärm im Osten an, es mochte ein Windstoß gewesen sein, der das Krachen der Detonationen verstärkt hatte.
    «Was machen Sie denn hier?» schrie Drygalski. Hier in aller Ruhe im Warmen zu sitzen, wo draußen der Teufel los ist, das gehe aber nicht ...
     
    Dr. Wagner zeigte in östliche Richtung und riskierte es, den Amtsleiter um Rat zu fragen: Vom Ersten Krieg hatte er zwar seine Erfahrungen, Chemin des Dames, aber er wollte es denn doch genauer wissen: Wenn er sich nicht irrte, war das doch wohl Trommelfeuer, was es da zu hören gab? Von deutscher Seite, oder von seiten der Roten Armee, das war die Frage.
    Sie lauschten nun allesamt, so wie man früher den Führerreden gelauscht hatte, aber die Frage des Studienrats blieb unbeantwortet. Die Flugzeuge, die jetzt über das Haus flogen, warenjedenfalls deutsche. Die würden es den Russen schon zeigen. Fehlte nicht viel, und Drygalski hätte ihnen mit der Mütze zu- gewunken.
     
    Drygalski hob die Versammlung auf. Er drehte sich zur weiteren Besichtigung des Hauses um, er müsse Katharinas Zimmer sehen ...
    «Das ist privat», sagte sie und drängte rasch an ihm vorbei und schloß sich ein.
    Drygalski wollte die Treppe schon wieder hinuntersteigen, sagte dann aber doch: Nein, er müsse darauf bestehen ... und pochte an die Tür: und Katharina ließ ihn notgedrungen ein, das Bett war noch ungemacht ...
    «Aha! » sagte Drygalski und schüttelte den Kopf, ungemachte Betten duldete er zu Hause nicht.
    «Das ist ja eine richtige Wohnung! ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und noch ein Wohnraum? Na, wunderbar! – Eigne Toilette?» Da könne der Junge ja notfalls bei ihr einziehen, und die Tante ebenso? Wenn weiterer Wohnraum gebraucht werde, dann müsse man eben zusammenrücken.
    Sein Blick fiel auf die Bücher, die auf dem Tisch lagen. Heinrich Heine? Stefan Zweig? Heine war doch wohl Jude gewesen? Na, das war ja alles sehr, sehr interessant.
    «Deutsche Dome allerdings ... » Und er nahm den Bildband in die Hand und hielt

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