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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Jackentasche, und er knackte sie, immer zwei gegeneinander.
    Ein Papagei? Die Mädchen kamen immer wieder aus der Küche herbei: So was hatten sie noch nicht gesehen: ein Papagei! Sie griffen nach ihm, aber der guckte sie nur schief an. – In ihrer Heimat hätten sie freilich noch viel größere Papageien gehabt... «Nun aber wieder an die Arbeit gehen», sagte das Tantchen.
     
    Die Frau des Barons trällerte durchs Haus, schnatterte mit den Mädchen in ihrer Sprache, lief zu den Pferden: der riesengroße Wallach und die beiden flinken Braunen. Peter zeigte ihr dentoten Pfau, den man nicht beerdigen kann, weil der Boden gefroren ist, einstweilen auf dem Misthaufen deponiert; die Hühner und den Hahn, wie zutraulich der Hahn ist und daß der jedes Wort versteht. Und Wladimir hatte ein längeres Gespräch mit ihr, weiß der Himmel, worum es sich handelte.
    Als sie ins Haus ging, ruppte er ein bißchen an seiner Mütze. Der kannte sich aus mit Herrschaft.
     
    Der Baron spazierte ein wenig im Park umher, sog die Luft ein, als ob sie hier besonders gesund sei. Diese Anlage lasse jeglichen Gestaltungswillen vermissen, sagte er zu Peter, der ihn begleitete. Der Fluß! Den müsse man doch irgendwie mit einbeziehen? Und er zeichnete mit seinem Stock einen Plan in den Schnee, wie er sich die Neugestaltung des Parks vorstellte.
    Da wären ja auch irgendwelche Ruinen. «Habt ihr die schon bemerkt? Die liegen hier so einfach herum?» Hier eine breite Schneise schlagen, auf die Ruinen zu ... Und am Fluß ein Teehaus, das böte sich doch an? Es gäbe Menschen, die kämen auf nichts, dabei liegt alles so klar auf der Hand?
     
    Der Baron hatte einen sehr schweren Koffer mitgebracht, den ließ er nicht aus den Augen. Er enthielt Material über seine Heimatstadt. Er hatte alles gesammelt, was von ihr zeugte: Stadtansichten, sehr alte und nagelneue, Prospekte, Bücher, Speisekarten. Fotos (die Nikolaikirche von allen Seiten und das Schaffer-Giebelhaus am Markt). Und das alles hatte er in diesem Koffer. Auch Ahnenpapiere waren dabei, seine Familie konnte er über Jahrhunderte hinweg zurückverfolgen. Die Ahnen waren aus Deutschland gekommen und hatten bei der Zarin Schutz gesucht, die seinerzeit die Tatkraft guter Deutscher schätzte. Was lag näher, als nun zurückzukehren ins Reich?
    Er zeigte Peter dies und das, machte ihm den Unterschied klar zwischen Stammbaum und Geschlechterfolge.
    Er zeigte Peter auch eine Art Chronik seiner Heimatstadt, die er selbst im Erzählstil formuliert hatte, prall vom Leben alter Zeit: «Was einst unser war» stand auf dem Manuskript, über dem er in den letzten Jahren jede freie Minute gebrütet hatte. Von den Gebräuchen der Kaufmannschaft war darin die Rede, daß die früher auch Schwäne gegessen hätten, auf ihren Festgelagen, und von der Einführung von Lokomobilen auf den großen Gütern.
    «Alles dahin! dahin!» rief er in die Gegend. Die Baronin bat Peter, seine Eisenbahn auf dem Flur lieber nicht umherfahren zu lassen, das störe ihren Mann, am besten, er packe sie weg. Und Peter tat das auch sofort.
     
    In seinem Zimmer saß der Baron, der Eduard mit Vornamen hieß, und sortierte mit klammen Fingern die Papiere, die er samt und sonders Gott sei Dank im letzten Moment noch in den Koffer gesteckt hatte, er tat es mal so und mal so herum, und seine allerletzten Eindrücke von seiner Heimatstadt notierte er, um Gottes willen, bloß nichts vergessen, und er leckte dazu seinen Bleistift an, den kleinen Finger mit dem Siegelring hielt er abgespreizt. Manikürt war er, wie die anderen Fingernägel auch. Das Auf und Ab der Generationen ... Wer weiß, wann man wieder zurückkommt in die Heimat! Irgendeiner mußte es doch aufschreiben, was da geschah an Wohl und Wehe, und jetzt geschieht an gewiß Schrecklichem, Zeugnis ablegen für alle Zeit.
    Auch: was man ihnen angetan hat, den Balten, getreulich verzeichnen, immer schon, und nun schon wieder! Zur Zarenzeit herbeigerufen, dann von den Bolschewisten massakriert! Und die Deutschen jetzt, die hatten auch ganz schön gehaust. Dasalles sollte überliefert werden, das mußte überliefert werden, unbedingt. Dafür fühlte er sich persönlich verantwortlich. Späteren Geschlechtern Zeugnis ablegen auf durchaus unterhaltsame Art.
     
    In einem Bücherregal fand sich eine Broschüre aus Eberhards Wandervogelzeit: «Wege und Straßen im Baltikum, ein Wanderbuch». Abbildungen von Alleen und verschwiegenen Pfaden, manch kleiner verwunschener Tümpel und

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