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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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man augenblicklich hinausgetragen aus dem Kreiskrankenhaus. Das medizinische Gerät mußte freilich zurückbleiben, die neuen Röntgenapparate zum Beispiel, die erst vor kurzem aufgestellt worden waren. Ob die Frauen sich vorstellen könnten, wie teuer so ein Ding ist? fragte er.
    Er werde die Stunden hier nie vergessen! sagte er dann auch noch, die Abendstunden im Georgenhof. Und dann beugte er sich zu Katharina hinunter und sagte: «Sehen Sie zu, daß Sie hier wegkommen, noch ist’s Zeit!»
    Ging fort und kam noch einmal zurück. Eine Frage hätt’ er noch, diese phantastische Leberwurst neulich, ob sie davon noch was hätten? Nun, wo alles den Bach runtergeht? – Ja, sie hatten noch was davon, schnell ein Stück abgeschnitten und ab die Post!
    Er winkte dann noch von der Straße herüber mit seiner einen Hand und sprang auf das nächste Sanitätsauto und auf und davon. Was für ein lieber Mensch?
     
    Am Nachmittag donnerte es noch immer hinter dem Horizont, aber ewig konnte man nicht in der Halle sitzen, man hatte noch dies und das zu tun. Die Vorhänge vielleicht noch waschen, bevor man davonging? Und alles gründlich saubermachen?
     
    Dr. Wagner hatte es trotz des Durcheinanders gewagt, sich hinauszustehlen aus der Stadt. Dort wimmelte es ja wie in einem Ameisenhaufen, alles rennet, rettet, flüchtet ... Immer mit der Ruhe, nach dieser Devise hatte er gehandelt, nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird. Auf dem Richtweg hatte er sich trotz des Schnees bis zum Georgenhof durchkämpfen können. Und da saß er nun bei Peter am Tisch mit seiner ungeputzten Brille, das Schleifchen des Eisernen Kreuzes am umgeklappten Revers, und kaute an seinem Wurstbrot. Er saß hier zu Recht, er tat hier seine Pflicht, Schule geschlossen, einem deutschen Jungen Privatunterricht erteilen? Daran konnte man ihn nicht hindern.
    Für den Volkssturm war er zu alt. Obwohl er sich noch ganz schön jung fühlte.
     
    Gerade hatte er dem Jungen vorgemacht, was Trommelfeuer bedeutet: Er hatte mit allen zehn Fingern auf den Tisch getrommelt und zwischendurch immer wieder mit dem Handballen als schwere Artillerie auf die Tischplatte getrumpft. – Als Soldat müsse man hin- und herhüpfen können wie ein Hase! Er hatte seinen Jackenärmel aufgestreift und das Hemd und hatte seinen bloßen Arm vorgezeigt, wo eine längliche Narbe zu besichtigen war: Chemin des Dames 1916. Am besten in einen frischen Granattrichter springen: wo’s ein Mal einschlägt, schlägt es so leicht kein zweites Mal ein. Begriffe wie «das Feuer vorverlegen» und «Feuerpause» erläuterte er, und das Wort «Materialschlacht» kam auch vor. Und: daß nicht jede Kugel trifft.
    Auf dem Tisch lag der Handatlas, Chemin des Dames wurde aufgesucht, und außerdem wollte man denn nun doch sehen, aus welcher Gegend das Brüllen der Kanonen kam. Das mußte hier oben irgendwo sein.
    Da wurde die Haustür aufgestoßen. Drygalski betrat mit seinen braunen Schaftstiefeln lauter als nötig, an dem erschrockenen Jago vorbei, ohne weiteres die Halle und schrie ins Treppenhaus: «Hallo, ist hier keiner?» Der Hund rutschte vor Schreck mit den Hinterpfoten auf den Fliesen aus! Heil Hitler!
    Was all die Koffer sollen, die da mitten in der Halle stehen? fragte er. «Wollen die Herrschaften verreisen?»
    Er hatte einen toten General abtransportieren lassen, das war ihm zu danken gewesen – alles so Sachen, an die sonst kein Mensch denkt, stundenlang telefoniert, rumgeschrien und für Ordnung gesorgt.
    Nun schickte er sich an, die Treppe hinaufzusteigen zu Katharina, die, den Schlüssel in der Hand, sich über das Geländer beugte und, Heil Hitler, «Ja, was ist denn?» fragte.
    Auch das Tantchen, das sich gerade mit ihren Zeitschriften beschäftigt hatte, ordentlich zusammengelegt und mit Bindfäden zu Bündeln geschnürt – zehn Jahrgänge! das waren doch auch Werte! –, öffnete ihre Tür. Was denn los sei, wollte sie wissen, Heil Hitler. Und auch Peter guckte aus seiner Stube heraus.
    Drygalski hastete die Treppe hinauf und in der Dunkelheit des Korridors stolperte er über Peters Uhrwerkeisenbahn und schrie: «Was ist das hier für eine Wirtschaft!» und fußballte Peters Eisenbahnwaggons in die Gegend. «Das ist ja ein richtiger Saustall!»
     
    Er brachte die Nachricht, ein Ehepaar aus dem Osten müsse untergebracht werden, das bedeute für die Globigs also Einquartierung, «und zwar zoffort! – Platz haben Sie ja genug...»
    Am Nachmittag würden die Leute kommen,

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