Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
metaphysischer
Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.« Schon ein Tisch, so Marx, »ent wickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne«. Was hätte Marx wohl über
eine Louis-Vuitton-Tasche, einen schnittigen Lamborghini oder eine Jeans zu sagen gehabt, die, um den Verkauf zu fördern,
von den Schneidern, die sie zusammennähen, zunächst beschädigt werden muss, weil das in manchen Jugendkulturen als hip gilt?
Die Waren, so Marx, entwickeln ein Eigenleben, obwohl sie von Menschenhand gemacht sind, schwingen sich zum Beherrscher der
Wünsche derer auf, die sie herstellen. »Dies«, so Marx, »nenne ich den Fetischismus.«
Wie der Fetisch früher Kulturen ist auch die Ware ein von Menschen produziertes Ding, das sich nicht in seiner Dinghaftigkeit
erschöpft, sondern mit Kultur begabt ist und fähig, seinen Schöpfer zu beherrschen. Das war immer schon so, gewinnt aber eine
neue Qualität in einer Zeit, in der der Aufwand, der für die Massenproduktion von Gütern nötig ist, immer mehr sinkt, und
die Beschäftigung in Bereichen wie Kommunikation, Design, Kreativität, Information, Werbung, Marketing, Dienstleistung immer
mehr zunimmt – in der es also einen Überfluss an Dingen gibt und ein Gutteil der menschlichen Kreativität und der Wirtschaftsaktivität
darauf verwandt wird, in praktischer Hinsicht ununterscheidbare Güter subjektiv durch »Kultur« unterscheidbar zu machen. Das
erst berechtigt, von einem veritablen »Kulturkapitalismus« |30| zu sprechen. Dies macht es aber auch notwendig, sich darüber Gedanken zu machen, was das Neue an diesem »Kulturkapitalismus«
ist – auch und vor allem, was er mit den Menschen anstellt. Wobei schon hier dazu gesagt sei, dass die simple kulturkritische
Pose unangebracht ist, ist der »Kulturkapitalismus« doch nicht das Andere des Menschen, der mit »den Menschen« etwas anstellt
– er ist von Menschen gemacht, die deshalb genau gesprochen »mit sich« und ihresgleichen etwas anstellen. Wenn aber verkaufen
heute heißt, »im gleichen Maße Image wie Produkte zu verkaufen« (»Image as much as products«), wie Hiromi Hosoya und Markus
Schaefer schreiben, dann ist die entscheidende Frage ja die: Was genau wünschen die Menschen zu erwerben, wenn sie ein kulturalisiertes
Produkt kaufen? Was genau wird da an Kultur »erworben« in einem emphatischen Sinn?
|29|
Ein Stapel Hemden?
Nein, ein ästhetisches Erlebnis!
|30| Bevor wir uns dem im nächsten Kapitel zuwenden, müssen freilich noch ein paar Worte über eine ebenso lange wie unergiebig
diskutierte Chose verloren werden, über die Frage nämlich: Was ist Kultur? Der Begriff »Kul tur « ist ja einer der am wenigsten trennscharfen Begriffe, die wir Menschen zur Verfügung haben. Kultur hat einen extrem engen
und einen extrem weiten Sinn. Kultur beschreibt hohe Kunst und gleichzeitig nahezu alles, was wir Menschen so tun – vorausgesetzt,
wir könnten es auch auf andere Weise tun. Kultur beschreibt also auch Verhaltensweisen, die auf einer imaginären Topik ganz
weit oben, und welche, die ganz weit unten angesiedelt sind – wer einer Beethoven-Sonate lauscht, der hat »Kultur«, wohingegen
man auch sagt, es ist Teil der italienischen Kultur, im Hocken die Toilette zu benutzen, während es zur deutschen Kultur zählt,
selbiges im Sitzen zu erledigen. Kultur hat zweifelsfrei, wer Konflikte auf maßvolle und zivilisierte Weise regelt, aber wer,
etwa im Irak, seinem Nachbarn |31| den Hals durchschneidet, der tut das bisweilen auch zur Verteidigung seiner »Kultur«.
Beide Kulturbegriffe haben etwas für sich und werden in der Folge auch gebraucht. Was sie verbindet, ist, dass sie zum Ausdruck
bringen, dass unser Tun in aller Regel kein simples, voraussetzungsfreies Tun, sondern mit Bedeutung aufgeladen ist – auch
wenn der Einzelne davon oft selbst nichts weiß. Kulturalisierung heißt, dass heute praktisch alles, was getan wird, mit Bedeutung
versehen ist, und dass immer mehr, was bisher »Kultur« in einem allgemeinen Sinn war, mit mehr Bedeutung versehen wird, so
dass es mehr und mehr »Kultur« im engeren Sinn wird. Das heißt nicht, dass wir alle Künstler sind, aber dass die vorsätzliche,
strategische Verbindung von Alltagshandlungen mit artifiziellen, ästhetischen kulturellen Gesten in den vergangenen Jahrzehnten
stark zugenommen hat. Um dies noch einmal am Beispiel von Gebrauchsgütern
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