Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
sexuelle Routine mit seiner Freundin, »auch wenn jede Bewegung, jede Geste, jede Sekunde von der Werbung und von den Medien
vereinnahmt war und somit nicht mehr mir gehörte. Ich lieh mir diese Stunden von der Werbung, und sie gefielen mir trotzdem.«
Eine schöne Sentenz, in der anklingt, wie unsere Gefühlswelt von der Kommerzwelt überwuchert wird. Denn auch die Romantik
kann konsumiert werden, wie die Jerusalemer Soziologin Eva Illouz so überzeugend gezeigt hat: Keine Liebe ohne den Konsum
von Romantikwaren – zu zweit ins Kino, das Candlelight-Dinner im Restaurant, der Wochenendtrip zu Destinationen, die nach
allgemeiner Auffassung mit Romantik verbunden sind, und natürlich die rote Rose aus dem Blumenladen für die neue Flamme. Jedes
Erlebnis ist entlang vorfabrizierter Bilder modelliert. So wie Erfahrungen von Waren produziert werden, so sind alle Praktiken
von einer »konsumorientierten Mentalität durchdrungen« 28 . Und dabei ist die »romantische Liebe« nur ein spezieller Aspekt des sozialen Lebens, dessen Fabrikation mit Hilfe kommerzialisierter
Bilder uns jedoch besonders abstoßend erscheint – schließlich gilt uns Liebe, erotische Anziehung, dieses eigentümlich kopflose
»dem Andern Verfallen« als das veritable Gegenteil der |36| kalten Rationalität der Wirtschaftswelt. Doch »die moderne romantische Liebe ist alles andere als ein vor dem Marktplatz sicherer
›Hafen‹, sondern vielmehr eine Praxis, die auf’s Engste mit der politischen Ökonomie des Spätkapitalismus verbunden ist«,
resümiert die Soziologin der Liebe, Eva Illouz. In anderen Sphären unserer sozialen Existenz sind wir eher geneigt, den Zusammenhang
von Konsum und Identität anzuerkennen. »Kleider machen Leute«, sagt eine alte Wendung, und wenn früher damit der simple Umstand
gemeint war, dass man einer elegant gekleideten Person als einem Menschen entgegentritt, dem Achtung und Respekt gebührt,
so hat sich der Subtext dieser Sentenz heute ausdifferenziert. Kleider, Einrichtungsgegenstände, alltägliche Accessoires repräsentieren
den persönlichen Lebensstil und machen ersichtlich, welch eine Person derjenige sein will, der sie erwirbt und benützt. Die
Güter, die den persönlichen Stil repräsentieren, nützen wir, um uns von Anderen abzugrenzen, aber auch, um uns mit Anderen
zu verbinden. Wir erwerben uns gewissermaßen selbst, wenn wir etwas erwerben, wir kaufen uns eine Identität zusammen und entscheiden
uns für die »Stilgemeinschaften«, denen wir angehören wollen, so dass man, wie der Soziologe Gerhard Schulze schreibt, überall
auf Personen stoßen kann, »die man zwar nicht kennt, die einem aber schon wegen ihres Konsumverhaltens bekannt vorkommen«. 29
Der Konsument im Konsumkapitalismus fragt deswegen auch gerade den kulturellen Charakter der Gebrauchsgegenstände nach – im
Extremfall sogar, obwohl er das Produkt gar nicht braucht; oft, weil er es höchstens in einem sehr weiten Sinn »braucht« –
er könnte gut auch ohne leben; nicht selten will er Dinge besitzen, von denen er kurz davor noch nicht einmal wusste. Es wäre
auch vorschnell, zu sagen, dass er Produkte ob ihrer Warenästhetik |37| erwirbt, weil diese zu seinem persönlichen Lebensstil passen, gewissermaßen zu seinem »Selbst« – nicht zu Unrecht weist Schulze
darauf hin, dass »das Selbst zumindest teilweise über ästhetische Handlungen erst konstruiert wird und sich mit dem Stil ändert«. 30 Das Selbst ist also nicht vor den Produkten da, sondern wird mit deren Hilfe erst modelliert.
Denkt man beim Spruch »Kleider machen Leute« stets an den Kaiser aus dem Märchen und den Ruf »Der Kaiser ist nackt«, so ist
der nackte Kaiser aber immer noch ein Kaiser – der Dandy, der coole Typ, der Yuppie dagegen ist ohne die äußeren Attribute
der Dandy-, Coolness- oder Yuppiewelt aber kein Dandy, kein cooler Typ, kein Yuppie mehr. Der nackte Yuppie ist kein nackter
Yuppie, er ist ein Nackter.
Wolfgang Ullrich erzählt in seinem Buch »Habenwol len « die hübsche Episode einer Kunstaktion in München. Ein schöngeistiger Unternehmer lädt dort regelmäßig Künstler zu »etwas
anderen« Installationen ein – sie sollen seine Wohnung für einen Abend zu einer Galerie machen. Die Künstlerin Stephanie Senge
stellte ihren Abend unter das Motto »Hurra, wir ziehen zusammen« und räumte Gebrauchsgegenstände aus ihrer Wohnung in die
Regale des Kaufmanns. In der Küche: ihre
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