Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Tassen neben denen des Gastgebers. Im Bad: ihre Zahnbürste und Hygieneartikel. Überall:
eine wilde Mischung. Der Kaufmann hat ein Faible für Minimalismus, die Künstlerin steht auf grelle Farben und fröhliche Formen.
Sofort fragten sich die Gäste, wenn auch in diesem Fall spielerisch: Kann das gut gehen? Können zwei derart unterschiedliche
Menschen zusammenpassen? Damit hatte die Künstlerin ihr Ziel schon erreicht. Die Zuschauer richteten ihr Augenmerk auf den
»weichen« Lifestyleaspekt der Sachen, getragen von der Überzeugung, »dass in den Dingen, mit |38| denen sich Menschen umgeben, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck kommt«. 31
»Brands repräsentieren Identität«, proklamiert Wally Olins. 32 Freilich: Brands, also stark mit Kultur aufgeladene Marken, tun das lediglich auf eine besonders starke Weise. Denn auch
das No-Name-Produkt oder die abgefuckte Secondhand-Ware taugt zur Konstruktion von Identität – oft sollen gerade sie demonstrativ
zum Ausdruck bringen, dass sich der, der sie erwirbt, um den Mainstream und den konsumistischen Herdentrieb nicht schert,
er also ein besonders eigenständiger Charakter ist. Genau besehen, ist also auch das ostentative Nicht-Konsumieren nur ein
besonders exaltierter Konsumstil. Wie immer man es dreht und wendet: Wir sind, was wir kaufen (oder eben nicht kaufen). 33 Es gibt also gar nicht so leicht einen Ausweg aus dem konsumistischen Universum, so dass man mit einigem Recht sagen kann:
Was immer wir tun, wir shoppen. »Nicht nur, dass Shopping mit allem verschmilzt, alles verschmilzt auch mit Shopping«, schreibt
Sze Tsung Leong in »Harvard Design School Guide to Shopping« 34 , und von Rem Koolhaas, dem niederländischen Stararchitekten, ist der Satz überliefert: »Shopping dürfte wohl die letzte noch
übrig gebliebene Form öffentlicher Aktivität sein.« Shopping ist die Aktivität, sich »zu einer marktförmigen Welt« 35 in Verhältnis zu setzen.
Man könnte also annehmen, dass Shopping zu einer sozialwissenschaftlichen Kategorie wird, zu einer Kategorie zumal, die gerade
deshalb produktiv ist, weil sie unscharf ist: Sie bezieht sich auf ökonomische Aspekte ebenso wie auf psychische, auf urbanistische
ebenso wie auf technologische. Doch bedenkt man die Bedeutung, die Shopping für die Formung unseres (inneren) Ich und unserer
(äuße ren ) Lebenswelten ohne jeden Zweifel hat, ist Shopping ziemlich untheoretisiert. Shopping ist wie ein weißer |39| Fleck auf der globalen Kartographie des Wissens. Eine Art Tabu – ernsthafte Denker scheuen sich, es anzurühren, besorgt, sie
könnten sich mit dem Simplen, Oberflächlichen, allzu Alltäglichen beschmutzen. Nachdenken über Shopping gilt als niedere Kunst,
die der Gebrauchsliteratur überlassen wird, den Ratgeber schreibenden Spezialisten, die sich mit Schaufenstergestaltung beschäftigen,
oder den Forschern, die nützliches Wissen zusammentragen. Leuten wie Paco Underhill etwa, dem Autor von »Why We Buy: The Science
of Shopping«, der weiß, dass Käufer durchschnittlich 11,27 Minuten in einem Shop verbleiben, Nichtkäufer dagegen nur 2,36
Minuten, und der das Gesetz entdeckt hat, dass sich Shopper nach dem Betreten eines Geschäfts zunächst nach rechts wenden
(woraus Innenarchitekten und Händler ihre praktischen Schlüsse ziehen).
Was aber das Entstehen einer »konsumistischen Mentalität« eigentlich bedeutet, ist wenig beleuchtet. Im Diskurs über Globalisierung,
beispielsweise, wird aller Ton auf internationale Arbeitsteilung gelegt, darauf, dass Autos in Deutschland entworfen, in Spanien
zusammengeschraubt, in China verkauft werden und die Firmenbuchhaltung möglicherweise in Kalkutta besorgt wird, und dass die
Shareholder des Unternehmens global agierende Investmentfonds sind, die ihre Einlagen zwischen Arkansas und Asunción einsammeln
und im virtuellen Raum »in Echtzeit« durch irgendwelche Glasfaserkabel jagen. Viel weniger Worte werden aber darauf verwendet,
dass eine globale Power-Brand nur dann erfolgreich ist, wenn ihr Markenimage sowohl in Ulm wie in Ulan Bator als erstrebenswert
gilt, wenn man mit ihr einen Lifestyle (mit) zu erwerben wünscht – dass es also so etwas wie eine Globalisierung der Gefühle
und Sehnsüchte geben muss und ein globales Verständnis der Zeichensprache, mittels derer eine Ware |40| mit den Konsumenten kommuniziert (was natürlich nicht ausschließt, dass eine Zeichensprache, die global expandiert, nicht
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