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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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fragte: »Soll ich Ihnen einen Stuhl holen?«
    Mir wäre es lieber, er würde mich ansehen, das ist alles – der Amerikaner. Selbst wenn ich vor ihm an der Spiegelwand herabgleiten, selbst wenn ich auf dem Fußboden niederkommen würde. Mir wäre es lieber, er würde die Person ansehen, die ich bin, die Person, die man in meinen Augen sieht. Das ist alles. Ich legte die Hand auf meinen Bauch, um das Baby zu beruhigen, das sich mittlerweile still verhielt, sichtlich die Fahrt genoss – und wie alle Babys keinen Mucks von sich gab. Manchmal lassen sie da drinnen eine Luftblase zurück, mit ihren Nadeln und so weiter. Aus Versehen lassen sie da drinnen Luft zurück, und wegen der Luft kann man dann das Baby weinen hören – man kann es wirklich hören. Das habe ich irgendwo gelesen. Es muss das einsamste Geräusch sein.
    Wir sitzen hier zusammen fest . Ich hatte das Gefühl, ihm auch das sagen zu müssen.
    Ach, was soll’s. Da war nun dieser Typ, der an einem Dienstagmorgen im Fahrstuhl auf dem Weg zum siebten Stock meinen Bauch anstarrte, als mir sehr wenig durch den Kopf ging. Oder alles. Mit ging alles durch den Kopf. Zunächst einmal ging mir ein völlig neuer Mensch durch den Kopf und die Tatsache, dass wir dafür wirklich kein
Geld hatten. Um all das musste ich mir Sorgen machen, um ein neues Menschenwesen, ein ganzes Universum, aber das ist natürlich »nichts«. Du machst dir Sorgen wegen nichts und wieder nichts , sagt mein Mann. Alles, worüber ich nachdenke, ist für ihn entweder zu groß oder zu klein.
    Natürlich hat er recht. Ich lese die Dinge vom Boden auf, denn wenn ich es nicht tue, werden wir in der Gosse enden. Ich verwahre die Wertmarken aus dem Supermarkt, denn wenn sie abhandenkommen, wird unser Kind es sich nicht leisten können, aufs College zu gehen . Mein Mann jedoch lebt in einer Welt, in der man nichts vom Boden aufliest und in der alles zum Besten steht. Muss das schön sein.
    »Das ist doch vollkommen normal«, sagt er, wenn ich ihm von den Krampfadern in meinen Beinen erzähle oder – Gott steh uns bei – von denen an meinem Hintern. Aber manchmal denke ich, er meint: Wir sind doch nichts als Tiere, weißt du ? Und manchmal denke ich, er meint: Besonders du. Du bist doch nichts als ein Tier .
     
    Als wir den fünften Stock hinter uns ließen, hatte ich auch schon das Sandwich im Mund. Roastbeef, blutig, mit Meerrettichsauce. Deswegen stand ich doch überhaupt in dem Fahrstuhl; ich war hinausgewatschelt, um eine Kleinigkeit einzukaufen, und Gott, es schmeckte erstaunlich gut. Ich hob das Kinn, um die Reise durch meine Kehle ein bisschen länger und angenehmer zu gestalten, und vielleicht rang er deshalb nach Atem, fast wie ein Lachen, und vielleicht sah ich ihn deshalb endlich an, von der Seite, mit vollem Mund.
    »Das sieht wirklich gut aus«, sagte er.

    Dieser Amerikaner lachte über mich, weil ich beim Essen immer ganz hilflos bin. Und weil ich so bescheuert und so drall aussehe, kann dieser Mann, den ich noch nie zuvor gesehen habe, mich fragen: »Gestatten Sie? Darf ich ihn mal berühren?«
    Ich spürte, wie der Fahrstuhl unter meinen Füßen nach oben drängte. Den Mund hatte ich noch immer voller Roastbeef. Aber er streckte trotzdem seine Hand nach mir aus. Sie sah aus wie eine Hand in einer Reklame – wie in der alten Reklame für Rothmans-Zigaretten -, etwas zu makellos, als habe er Selbstbräuner aufgetragen. Ich drehte mich zu ihm um, beziehungsweise ich drehte das Baby zu ihm um, wuchtig. Ich sah ihm nicht ins Gesicht. Ich blickte ein wenig zur Seite und zu Boden.
    Ich wollte ihm sagen: Wer wird für das Kind aufkommen? Oder es lieben. Ich wollte sagen: Wer wird es lieben? Oder: Glauben Sie, es ist einsam da drinnen? Das wollte ich wirklich sagen. Ich schluckte und öffnete den Mund, um zu reden, als der Fahrstuhl anhielt und er die Hand auf meinen Bauch legte. Er berührte alle meine Hoffnungen.
    »Es schläft«, stellte er fest.
    Die Türen öffneten sich. So blieben wir stehen: Er berührte meinen Bauch, ich sah zu Boden wie eine Art Sklavin. Dachte an seine Wimpern. Dachte, dass ich, ganz gleich, was ich dieser Tage unternahm, ganz gleich, was ich trug oder wie ich mich frisierte, immer schlecht aussah. Aufgedunsen.
    Er sagte: »Danke. Wissen Sie, das ist das Allerschönste. Das ist das Allerschönste auf der ganzen Welt.«
    Nun, was sollte er auch sonst sagen?

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    Hazel wollte nicht draußen essen – wegen der Menge an Sonnenschutzcreme, die

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