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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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seinen Absätzen ein bisschen nach hinten, während ich den anderen Knopf drückte, diesmal den richtigen, den, bei dem die Dreiecke aufeinanderzeigen. Na schön , sagten die Türen, jetzt schließen wir uns .
    Jemand hatte vor Jahren einen Topf Farbe genommen und ihnen einen neuen Anstrich verpasst. Dicke Farbe. Man sieht noch immer die Pinselstriche, in einem Siebziger-Jahre-Braunton. Die Türen stoßen aneinander und seufzen ein wenig, und man blickt auf die Stelle, wo die Farbe abgeblättert ist. Man blickt auf die Stelle, wo der Maler ein Haar hinterlassen hat, ein großes blondes S. Man steht nur fünf Zentimeter von einem anderen Menschen entfernt und denkt an gar nichts, während der Fahrstuhl überlegt, ob er nach oben oder nach unten fahren soll.
    Entscheidungen, Entscheidungen.
    Viel Glück womit? Mit den Wehen? Mit den nächsten vierzig Jahren?
    Der Fahrstuhl ruckte nach oben.
    »Das kann ich gebrauchen«, sagte ich.
    Das Gebäude war einmal ein Hotel gewesen. Eine andere Entschuldigung fällt mir nicht ein, denn die
Wände des Fahrstuhls sind bis auf Brusthöhe mit einem dunkelgrünen Teppich verkleidet, einem richtigen Teppich. Darüber befindet sich ein Rauchglasspiegel, in dem jeder gelb oder zumindest gebräunt aussieht. Eigentlich ist die Beleuchtung so trübe, dass die Leute recht ansehnlich wirken, und im Grunde genommen sieht man ihnen dabei zu, wie sie ihr Äußeres im Spiegel überprüfen. Oder man betrachtet sich selbst im Spiegel, und sie sehen einem dabei zu, wie man sein Äußeres überprüft. Oder Blicke treffen im Spiegel aufeinander. Aber richtige Blicke von Mensch zu Mensch sind selten. Ich meine, man kann dem Spiegel nur schwer widerstehen – es gibt nur selten Blicke, die von einem Menschen quer durch den Raum zu einem anderen gehen, zu einem leibhaftigen sozusagen, im Gegensatz zu dem im Spiegel.
    Oder in den Spiegeln. Eine Spiegelung zieht natürlich die nächste nach sich, denn es ist eine Spiegelkiste – bis auf die Türen sind alle Wände verspiegelt. Blicke können also in beliebig vielen Spiegelbildern aufeinandertreffen, die sich zu beiden Seiten wie Flügel auffächern. Der Amerikaner in der Ecke war von meinen vielfach reflektierten Bäuchen geradezu umzingelt, aber er starrte direkt auf den echten. Nein, kannst du nicht , dachte ich. Wage es ja nicht .
    Dieser Tage sehe ich ohnehin so seltsam aus. Ich schätze Entfernungen falsch ein, und mein Spiegelbild stürzt zu schnell auf mich zu. Ich hatte das Gefühl, über etwas zu stolpern, dabei stand ich einfach nur da. Der Amerikaner ließ die Hände am Körper herabbaumeln. In der Linken
hielt er seinen Aktenkoffer, und die Rechte öffnete sich sanft.
    Dann hielten wir Gott sei Dank endlich an. Im dritten Stock. Ping .
    »Es wird schon gut gehen«, sagte er, als sei es ein Abschiedsgruß. Doch als die Türen sich öffneten, trat er nicht hinaus, und draußen war niemand. Die Türen blieben lange offen, während wir in einen leeren Korridor blickten; dann schlossen sie sich wieder, und nur er und ich lauschten dem Gebäude draußen, lauschten unserem eigenen Atem, während der Fahrstuhl eine Zeit lang gar nichts tat.
    Ich sehe den Leuten immer in die Augen, wissen Sie? So bin ich nun mal. Selbst wenn sie eine Behinderung oder etwas Sonderbares an sich haben, sehe ich ihnen direkt in die Augen. Und wenn eins ihrer Augen beschädigt ist, dann sehe ich ihnen in das heile Auge, weil sie irgendwie dort sind . Ich denke, das ist ein Gebot der Höflichkeit. Aber ich habe nicht immer recht. Einige Leute wollen, dass man ihr »Ding« ansieht und nicht sie selbst. Einige Leute brauchen das.
    Auf der Straße bin ich einmal einem jungen Transvestiten begegnet; ich kannte seine Mutter, und er hatte diese wunderschönen Augen, noch immer haselnussbraun unter all der Mascara und dem Kajal. Nun, ich wusste nicht, wohin ich sonst sehen sollte außer in seine Augen, zugleich wollte ich ihm aber, glaube ich, Hallo sagen. Ihm selbst . Dem Jungen, den ich kannte. Und das wollte er natürlich nicht. Er wollte, dass ich seinen Aufzug bewunderte.

    Oder Jim, ein Freund von mir, der MS bekam. Eines Tages begegnete ich ihm und fing natürlich an, mit ihm zu plaudern, und dann stellte ich fest, dass ich immer schneller redete, wirklich ununterbrochen quasselte, weil ich mit ihm schwatzen wollte – mit ihm und nicht mit seiner Krankheit -, und langsam glitt er vor mir an der Wand herab, quassel quassel quassel quassel, bis ein wildfremder Mann ihn

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