Alles, was ist: Roman (German Edition)
gegenüber von Les Halles, aber der Markt war um diese Zeit geschlossen, und der Platz war leer.
Sie bestellte etwas zu essen, achtete aber kaum darauf, als es kam, und aß nur ein paar Gabeln voll, den Rest ließ sie abräumen. Sie trank den ganzen Wein und verschüttete vom letzten Glas ein wenig, bemerkte es aber nur beiläufig.
»Ober«, sagte sie. »Ich hätte noch gerne eine Flasche.«
Er verschwand und kam nach einer Weile wieder.
»Es tut mir leid, Madam«, sagte er. »Ich kann Ihnen keine Flasche mehr geben.«
»Wie bitte?«
»Es tut mir sehr leid«, sagte er. »Ich kann nicht.«
Sie sagte:
»Was meinen Sie, Sie können nicht? Wo ist der Oberkellner?«
»Madam«, begann er.
»Ich möchte den Oberkellner sprechen«, sagte sie.
Sie bemerkte die anderen Leute gar nicht. Sie drehte sich nach ihm um, als wäre sie allein im Raum.
Der Oberkellner kam. Er trug einen Smoking.
»Ich habe eine Flasche Wein bestellt«, erklärte sie. »Ich hätte gerne eine Flasche Wein.«
Sie war eine Dame der Upperclass, die man zu Unrecht verurteilte.
»Es tut mir leid, Madam. Ich glaube, der Kellner hat es schon gesagt. Wir können Ihnen keine Flasche mehr geben.«
Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
»Dann geben Sie mir eben noch ein Glas«, sagte sie.
Er antwortete nicht.
»Ein Glas.«
Er ging und beschäftigte sich an seinem Pult. Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie zu den Gästen hinter sich. »Kennen Sie eine Bar namens Hartley’s?«
»Ja. Es sind nur ein paar Schritt von hier.«
»Danke. Ich hätte gerne die Rechnung«, gab sie dem Kellner zu verstehen.
Sie betrachtete sie, als sie kam.
»Das kann unmöglich die Rechnung sein«, sagte sie.
»Das ist die Rechnung, Madam.«
Sie kramte in ihrer Tasche. Sie konnte etwas nicht finden.
»Ich habe hundert Pfund verloren!«, sagte sie.
Der Oberkellner war gekommen.
»Während ich hier saß!«
»Können Sie die Rechnung bezahlen, Madam?«, sagte er.
»Ich habe hundert Pfund verloren«, wiederholte sie und fing an, neben ihren Füßen zu suchen.
»Sind Sie sich sicher?«
»Natürlich bin ich mir sicher«, sagte sie unmissverständlich.
»Sie müssen die Rechnung begleichen, Madam«, sagte er.
»Aber ich habe mein Geld verloren«, sagte sie. »Haben Sie nicht gehört?«
»Sie müssen das leider bezahlen.«
Er wusste, es gab kein verlorenes Geld. Man hätte ihr keinen Tisch geben dürfen. Es war falsch gewesen. Sie kramte wieder in ihrer Tasche.
»Ah«, sagte der Kellner und erhob sich.
Er hatte die Hundertpfundnote unter ihrem Stuhl gefunden.
»Kann ich jetzt eine Flasche Wein bekommen?«, sagte sie.
»Ja, Madam«, sagte der Oberkellner. »Aber Sie können sie hier nicht öffnen.«
»Und wozu ist sie dann gut?«, fragte sie.
»Sie können sie hier nicht öffnen«, sagte er.
Als der Kellner mit der Flasche zurückkam, wollte sie sie nicht mehr.
»Ich will sie nicht mehr«, sagte sie. »Haben Sie etwas Papier, um sie einzuschlagen?«
»Tut mir leid, Madam.«
»Ich kann sie ja schlecht so mit auf die Straße nehmen.«
Sie stand auf und sah ihn an. Dann hielt sie ihm etwas Geld hin, aber er nahm es nicht. Der Kellner nahm es. Sie stopfte die restlichen Scheine achtlos in ihre Tasche. Sie brachten ihr die eingeschlagene Flasche, und sie fragte den Mann am Nachbartisch, in welcher Richtung das Hartley’s lag.
»Nach links«, sagte er.
»Links.«
»Ja.«
Sie wünschte dem Oberkellner einen guten Abend. Er nickte.
»Guten Abend.«
Draußen ging sie nach rechts, eine Minute später kam sie in der anderen Richtung am Fenster vorbei. Im Hartley’s sah man sie ruhig an einem Tisch sitzen und rauchen. Der Wein stand in einem Kübel neben ihrem Tisch.
Wiberg war jetzt Sir Bernard Wiberg, obwohl er eher wie ein arabischer König aussah – eintausend Kamele würden dereinst an seinem Grabe stehen. Er war zweimal nach Stockholm zur Verleihung des Nobelpreises gefahren und zeichnete sich dadurch aus, den Gewinner veröffentlicht zu haben. Tatsächlich hatte er an ihrer Ehrung aktiv mitgewirkt. Er hatte sichergestellt, dass ihre Namen des Öfteren erwähnt wurden, nicht zu häufig und nicht zu aggressiv, die öffentliche Meinung war durchaus sensibel, vor allem wenn sie sich bis zum Gremium der schwedischen Richter vorarbeiten musste, aber Wiberg wusste, wie man einem Schriftsteller zu Ansehen verhalf – er hatte einen Instinkt für derlei Dinge, ebenso wie für die Öffentlichkeit und die Werbung.
Weitere Kostenlose Bücher