Alles, was ist: Roman (German Edition)
jung, um die Dinge zu verstehen. Er hatte sich eine mondäne und zügellose Hochzeit vorgestellt, bei der er sich eine der Brautjungfern schnappen würde, aber es gab keine Brautjungfern, es gab nur eine Trauzeugin, und die fand er nicht attraktiv. Er schlenderte hinüber zum Bräutigam.
»Das hier wird dann also dein Anwesen auf dem Land.«
»Das glaub ich weniger«, sagte Bowman.
»Ich hab deinen Schwiegervater kennengelernt. Ein richtiger Großgrundbesitzer. Und steinreich. Was für ein Glück du hast. Wirklich Glück«, sagte er mit Blick auf Vivian. »Na ja. Ich hab ja noch die Blume …« Er griff nach seinem Revers. »Die werd ich aufbewahren, als Erinnerung. Werd sie pressen«, sagte er mit Blick darauf. »Muss aber ein großes Buch sein. Ich hab mit deiner Schwiegermutter gesprochen. Gutgekleidete Frau.«
Caroline bewegte sich zwischen den Gästen, sie war etwas schwerer als beim letzten Mal und ihre Wangen etwas voller. Sie trug ein teures schwarzes Kleid und achtete darauf, ihrem früheren Mann nicht allzu oft zu begegnen.
Beatrice hatte wenig gesagt. Sie hatte in der Kirche geweint. Sie hatte Vivian umarmt und von ihr eine pflichtgetreue Umarmung erhalten. Alles war irgendwie gleich, pflichtgetreu, zurückhaltend, nur Lächeln und höfliches Gerede.
Sie verabschiedete sich von ihrem Sohn. Sie hatte noch Zeit, ihn zu umarmen und ihm aus ganzem Herzen zu sagen:
»Seid gut zueinander. Liebt einander.«
Auch wenn sie fühlte, dass ein Schatten auf ihrer Liebe lag. Sie hatte Zweifel, dass sie ihre Schwiegertochter je wirklich kennenlernen würde. Es schien, als wäre an diesem strahlenden Tag das größte Unglück geschehen. Sie hatte ihren Sohn verloren, nicht vollständig, aber ein Teil von ihm war unwiederbringlich von ihr gegangen und gehörte jetzt jemand anderem, jemandem, der ihn kaum kannte. Sie dachte an alles, was gewesen war, die Hoffnungen und Ziele, an all die Jahre, die nicht nur in ihrer Erinnerung mit Freude gefüllt waren. Sie versuchte, leichtherzig zu sein, wollte, dass man sie mochte und ihrem Sohn gewogen war.
Sie glaubte, George Amussen zu kennen, die Selbstbeherrschung, sein Gebaren, sein Leben in dem Haus, das all das zu repräsentieren schien. Er erinnerte sie an ihren Mann, den sie so lange versucht hatte, aus ihren Gedanken zu verbannen, der aber fern und unangreifbar Teil ihres Lebens blieb.
Vivian war glücklich. Sie trug ihr weißes Hochzeitskleid, das sie später noch wechseln würde, und wenn sie sich auch an den Gedanken noch nicht gewöhnt hatte, war sie doch eine verheiratete Frau. Sie hatte zu Hause geheiratet, mit dem Segen ihres Vaters, zumindest mehr oder weniger. Es war passiert, sie hatte es getan. Wie Beverly war sie verheiratet.
Bowman war glücklich, er fühlte sich zumindest glücklich, sie war die seine, eine wunderschöne Frau, ein wunderschönes Mädchen. Er sah das Leben vor sich, die gewohnten Bahnen mit ihr an seiner Seite. In Gegenwart ihrer Familie und Freunde war ihm klar, dass er nur einen Teil von ihr kannte, einen Teil, der ihn anzog, aber das war nicht ihr ganzes oder eigentliches Ich. Hinter ihr sah er ihren unnachgiebigen Vater und nicht weit von ihm ihre Schwester mit ihrem Mann. Sie alle waren ihm vollkommen fremd. Auf der anderen Seite des Zimmers stand lächelnd und alkoholisiert ihre Mutter Caroline. Vivian fing seinen Blick auf, vielleicht auch seine Gedanken, und lächelte ihn, wie er glaubte, verständnisvoll an. Das ungewisse Gefühl verschwand. Ihr Lächeln war liebevoll, aufrichtig. Wir fahren bald, sagte es. In dieser Nacht allerdings, nachdem sie im Hay-Adams Hotel in Washington angekommen waren, gingen sie, erschöpft von den Ereignissen des Tages und noch nicht recht daran gewöhnt, ein verheiratetes Paar zu sein, einfach nur zu Bett.
5. Zehnte Straße
Das Wohnzimmer lag nach vorne raus, mit Glastüren zum Schlafzimmer, das Bett stand am Fenster. Die Küche war schmal und lang, das Geschirr häufig ungespült, Vivian hatte kein Interesse am Haushalt, ihre Schminke und Kleider lagen überall herum. Und doch ging immer ein fantastisches Wesen aus ihren Bemühungen hervor, selbst in aller Kürze. Sie konnte bezaubern, auch ohne Lippenstift, mit ungekämmtem Haar, manchmal besonders dann.
Das Apartment war auf der zehnten Straße, viele alte New Yorker Familien lebten dort, es war ruhig, und doch zentral gelegen, eine Gegend wie eine Insel, abseits und für sich. Vivian hatte einige Fotos mitgebracht, zwei davon standen
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