Alles, was ist: Roman (German Edition)
Fiebervisionen eines Heiligen.
Im Jahr 1928 hatte George Amussen bei einem Abendessen in Washington Caroline Wain kennengelernt. Sie war zwanzig, zog die Worte beim Sprechen in die Länge und hatte ein herausforderndes Lächeln. Sie war in Detroit aufgewachsen, ihr Vater war Architekt. Vier Monate darauf heirateten sie, und sechs Monate später wurde ihr erstes Kind Beverly geboren. Vivian kam anderthalb Jahre später.
Caroline mochte das Leben auf dem Land. Sie rauchte und trank. Ihr Lachen wurde heiser, und mit der Zeit tauchte eine kleine, verführerische Speckfalte über ihrem Gürtel auf. Sie lag mit ihren Töchtern im Bett und las ihnen an regnerischen Tagen manchmal etwas vor. Amussen fuhr zur Arbeit nach Washington, hin und wieder kam er spät nach Hause oder blieb über Nacht in der Stadt. Seine Aufmerksamkeit Caroline gegenüber, die Art von Aufmerksamkeit, die ihr wichtig war, nahm immer weiter ab. Sie brütete darüber.
»George«, sagte sie eines Abends bei einem Drink. »Bist du glücklich mit mir?«
Sie war noch nicht dreißig, aber unter den Augen war ihr Gesicht leicht aufgedunsen.
»Was meinst du damit, Liebling?«
»Bist du glücklich?«
»Glücklich genug.«
»Liebst du mich noch?«, drängte sie weiter.
»Warum fragst du mich so etwas?«
»Ich will es nur wissen.«
»Ja«, sagte er.
»Ja, du liebst mich? Willst du das damit sagen?«
»Wenn du so weiterfragst, weiß ich nicht, was ich noch sagen werde.«
»Das heißt, du tust es nicht.«
»Heißt es das?«
Es folgte ein Moment Stille.
»Ist da vielleicht jemand anderes?«, sagte sie schließlich.
»Wenn, würde es nichts bedeuten«, sagte er.
»Es stimmt also.«
»Ich sagte doch, wenn. Aber da ist nichts.«
»Bist du dir auch sicher? Nein, bist du nicht, oder?«
»Warum hörst du nicht, was ich sage?«
Und dann, urplötzlich, schüttete sie ihm ihren Drink ins Gesicht. Er stand auf, holte ein Taschentuch heraus und tupfte sich ab.
Dann, auf einer Party in Middleburg in jenem Herbst, schüttete sie ihm wieder ihren Drink ins Gesicht. Sie weinte auf der Heimfahrt im Auto wie viele Male zuvor. Sie wurde als Trinkerin bekannt, aber das war im Grunde nicht schlimm – das Trinken, selbst wenn es zu viel war, galt in ihren Kreisen als Zeichen von Charakter, ähnlich wie Mut – aber Amussen wurde des Ganzen und auch ihrer überdrüssig. Ihre Ausbrüche waren wie eine Krankheit, die man nicht behandeln und auch nicht heilen konnte. Sie hatte ihr Kissen genommen und war ins Gästezimmer gezogen. Im zehnten Jahr ihrer Ehe waren sie so gut wie getrennt und ließen sich bald darauf scheiden. Caroline fuhr für die Angelegenheit nach Reno und ließ ihre beiden Töchter, damals acht und zehn Jahre alt, bei ihrem Mann, wegen der Schule und auch, um sie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen. Obwohl sie das Sorgerecht behielt, machte sie keinen Gebrauch davon, und Amussen war zufrieden, dass die Dinge weiterliefen wie bisher.
Bowman lernte Caroline Amussen – sie behielt den Namen, der einen gewissen Wert hatte – in ihrem Apartment in Washington kennen. Sie öffnete ihnen in Hausschuhen, und doch hatte sie diese galante Art und war ihm gegenüber sehr warmherzig. Sie mochte ihn, sagte sie, und später unter vier Augen sagte sie es auch ihrer Tochter. Bowman vergaß die Tatsache, dass Mädchen ab einem gewissen Alter wie ihre Mütter wurden. Er hatte das Gefühl, dass Vivian nach ihrem Vater kam und zu einer selbständigen Frau würde.
Der Kellner kam an ihren Tisch, um die Bestellung aufzunehmen.
»Wie ist der Maifischrogen, Edward?«, fragte Amussen.
»Sehr gut, Mister Amussen.«
»Gibt es noch zwei Portionen?«, fragte er. »Falls es Ihnen recht ist«, sagte er zu seinem Gast.
Bowman nahm an, dass es sich um ein Südstaatengericht handelte.
»Gehen Sie manchmal fischen?«, fragte Amussen. »Maifisch hat sehr viele Gräten, eigentlich zu viele, um genießbar zu sein. Der Rogen ist das Beste.«
»Gut, dann nehm ich ihn. Wie wird er zubereitet?«
»Gebraten, mit etwas Schinken. Er wird leicht gebräunt. Das stimmt doch, Edward?«
Es war gegen Ende des Lunchs, der Kaffee wurde gerade serviert, als Bowman sagte:
»Sie wissen, dass ich Vivian liebe.«
Amussen rührte weiter in seinem Kaffee, als hätte er ihn nicht gehört.
»Und ich glaube, sie liebt mich auch«, fuhr Bowman fort. »Wir würden gerne heiraten.«
Amussen zeigte immer noch keine Regung. Er war so ruhig, als wäre er allein.
»Ich bin gekommen, um Sie
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