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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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denen die Leute in Grüppchen standen und etwas miteinander tranken. Er hatte eine australische Armeemütze auf dem Kopf, auf einer Seite hochgeklappt, die Krempe vom Regen besprenkelt, eine geflochtene Schnur unter dem Kinn. Es war der Richter, der Amussen die Hand schüttelte, Vivian höflich grüßte und Bowman murmelnd zunickte. Sie standen im Regen und redeten, der Richter sprach nur mit Amussen, während in der Ferne Pferde und Reiter über die weiten Hänge galoppierten. Der Richter hatte Vivians Hochzeit nicht gut verkraftet. Wenn hübsche Frauen sich der Torheit ergaben, dachte er, stellte sich aber im Verlauf des Rennens immer so, dass er sie sehen konnte, und fing sogar einmal ihren Blick auf, zugeneigt, wie er fand, während ihm der Regen von der braunen Hutkrempe tropfte.
    Zurück in New York bekam Vivian Fieber, ihr taten alle Glieder weh. Sie hatte Grippe. Bowman ließ ihr ein heißes Bad ein und trug sie danach in einem weißen Bademantel ins Bett. Er betrachtete ihr feuchtes, sorgloses Gesicht, während sie schlief, er selbst übernachtete auf der Couch, um sie nicht zu stören, am Morgen ging er dann zur Arbeit, kam aber während des Tages zwei- oder dreimal nach Hause, um nach ihr zu sehen. Die Krankheit schien sie einander näher zu bringen, seltsam vertraute Stunden, in denen sie nur dalag, zu schwach, um irgendetwas zu tun, während er ihr vorlas oder einen Tee machte. Zwei Männer mittleren Alters, die im Stock unter ihnen wohnten, sprachen ihn auf der Treppe an, um sich nach ihr zu erkundigen. Am Abend brachten sie ihr etwas Suppe, eine Minestrone, die sie selber gemacht hatten.
    »Wie geht es ihr?«, fragten sie besorgt, als er ihnen öffnete.
    Sie konnten sie im Schlafzimmer husten hören. Larry und Arthur. Sie waren altgediente Musiktheaterleute, tranken viel und wohnten in einer Wohnung mit Mieterschutz. Vivian mochte sie. Noël und Cole nannte sie die beiden, sie hatten sich im Chor kennengelernt. Die Wände in ihrer Wohnung waren mit gerahmten Theaterprogrammen und signierten Fotografien alter Künstler behangen. Eine Fotografie zeigte Gertrude Neisen. Gertrude war einfach wunderbar, riefen sie. Sie hatten ein Klavier, auf dem sie manchmal spielten, mitunter sangen sie. Als es Vivian besser ging, brachten sie ihr eine längliche Glasvase mit einem Gesteck aus Lilien und gelben Rosen aus dem Blumenladen auf der achtzehnten Straße, das von Christos geführt wurde, einem eleganten Mann, mit dem Arthur früher einmal liiert gewesen war und mit dem sie beide befreundet waren. Auch er liebte das Theater mit allem Drum und Dran. Später eröffnete er ein Restaurant.
    Die Blumen hielten fast zwei Wochen. Am Abend des Dinners bei den Baums blühten sie noch immer. Bowman war nie zuvor bei den Baums zu Hause gewesen, und Vivian kannte sie noch gar nicht. Sie machte sich im Flur zurecht, legte ein Paar Ohrringe an, ihr Gesicht leuchtete im Spiegel über dem prachtvollen Arrangement.
    Bowman hatte von Baums Privatleben nur eine vage Vorstellung, es war europäisch, wie er vermutete, und sicher. Der Portier war angewiesen worden, sie direkt nach oben zu lassen. Als sie den kurzen Flur hinuntergingen, hörten sie hinter einer der Türen Hundegebell. Baum selbst öffnete ihnen die Tür, man fühlte sich gleich von dem Raum umfangen: bequeme Möbel, weiche Orientteppiche, überall waren Bücher, Bilder hingen an den Wänden. Es wirkte nicht wie die Wohnung eines Paares mit Kind, sondern von Menschen, die viel Zeit für Dinge hatten. Diana stand vom Sofa auf, auf dem sie mit einem anderen Gast gesessen hatte. Sie begrüßte Vivian zuerst. Sie habe sich so darauf gefreut, sie kennenzulernen, sagte sie. Baum mischte ihnen auf einem niedrigen Sekretär, auf dem ein Tablett mit Flaschen stand, ein paar Drinks. Der andere Gast schien sehr vertraut mit allem. Bowman dachte zuerst, er wäre ein Verwandter, aber wie sich herausstellte, lehrte er Philosophie und war ein Freund von Diana.
    Beim Essen unterhielten sie sich über Bücher und ein Manuskript von einem polnischen Flüchtling namens Aronsky, der die Vernichtung im Warschauer Ghetto irgendwie überlebt hatte und später auch die der Stadt. In New York hatte er in literarische Kreise gefunden. Es hieß, er sei liebenswert, wenn auch unberechenbar. Wie, so wurde er gefragt, hatte er nur überlebt? Die Antwort war immer, er wüsste es nicht, er hatte einfach Glück. Nichts war vorhersehbar, manchmal konnte eine bloße Fliege eine Mutter von vier Kindern

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