Alles, was ist: Roman (German Edition)
töten. Wie das? Wenn sie sich bewegte, um sie fortzustreichen, sagte er.
Ein weiteres Paar war zu ihnen gestoßen, ein Weinkritiker und seine Freundin, die eher klein war, mit langen Fingern und dichtem rabenschwarzem Haar. Sie war lebhaft und redete viel, fast wie eine Aufziehpuppe, eine kleine Puppe, die auch Sex draufhatte. Ihr Name war Kitty. Aber sie sprachen von Aronsky. Sein Buch, das bislang noch unveröffentlicht war, hieß Der Retter .
»Mich hat es richtig aufgewühlt«, sagte Diana.
»Etwas ist merkwürdig daran«, stimmte Baum ihr zu. »Die meisten Romane, auch die großen, geben nicht vor, wahr zu sein. Man glaubt ihnen, sie werden Teil deines Leben, aber nicht als wirkliche Welt. Und das Buch hier handelt dem zuwider.«
Es war eine Abhandlung, im Ton fast formell gehalten, die unter Auslassung jeglicher Metaphern das Leben von Reinhard Heydrich wiedergab, jenem SS-Offizier mit schmalem Gesicht und knochiger Nase, der, in der Rangfolge direkt hinter Himmler, einer der schwarz uniformierten Planer der sogenannten Endlösung war. Als Leiter der Sicherheitspolizei war er mächtig und gefürchtet wie kaum ein anderer im Dritten Reich. Er war groß und blond, von aufbrausender Natur und einem fast unmenschlichen Arbeitseifer. Er war für sein unterkühltes, gutes Aussehen bekannt wie auch für seinen Hang zu Frauen. Im Buch gab es eine Anekdote, in der er eines Abends nach einem Kneipenbesuch nach Hause kam und im Dunkeln der Wohnung jemanden bemerkte, die Pistole zog und vier Schüsse abgab, die den Flurspiegel zerschlugen, in dem er sich gespiegelt hatte.
Die Einzelheiten seiner Vergangenheit wurden sorgfältig verschleiert. In seiner Geburtsstadt waren die Grabsteine seiner Eltern auf mysteriöse Weise verschwunden. Seine Schulfreunde hatten Angst, sich an ihn zu erinnern, und frühere Unterlagen zu seiner Zeit als Marinekadett waren verlorengegangen, es gab nur die Geschichte, dass er wegen eines Zwischenfalls mit einem jungen Mädchen unehrenhaft entlassen worden war. Verheimlicht wurde, so unglaublich es klang, dass Heydrich Jude war, seine wahre Identität nur einem kleinen Kreis einflussreicher Juden bekannt, die sich darauf verließen, von ihm mit Informationen versorgt und auch beschützt zu werden.
Am Ende verrät er sie. Und im Grunde auch sich selbst, weil er vielleicht gar kein Jude ist, und weil er so endet wie sie, tot und ausgelöscht. Als stellvertretender Reichsprotektor in der besetzten Tschechoslowakei wird er in einer offenen Limousine in der Nähe von Prag von Heckenschützen angegriffen, eine Tat, die ironischerweise von nichtsahnenden Juden aus England in Auftrag gegeben wird, wo die Ermordung geplant und vorbereitet wurde.
Das Buch hatte eine große Kraft und überzeugte bis in kleinste Details, bei denen man sich kaum vorstellen konnte, dass sie erfunden waren. Der Fußboden im Krankenhaus, in das er gebracht worden war, der nackte Oberkörper von Heydrich auf dem Operationstisch, während man versuchte, ihn zu retten. Himmler hatte seinen Leibarzt geschickt. Das Ganze war von einer eisigen Authentizität. Die tschechischen Attentäter, die mit dem Fallschirm abgesprungen waren, aber nicht überleben. Sie sitzen im Keller einer Kirche fest, und von einer Übermacht deutscher Soldaten eingekesselt, nehmen sie sich das Leben. Für den Vergeltungsakt wird das Dorf Lidice ausgewählt und die Einwohnerschaft – Männer, Frauen und Kinder, die nichts damit zu tun hatten – wahllos hingerichtet. Nichts auf der Welt gleicht dem Geräusch, schrieb Aronsky, einer deutschen Pistole, die durchgeladen wird.
Baum wollte das alles nicht glauben. Nicht, dass er nicht wusste, wie das Durchladen einer Pistole klang, das wusste er, aber er vermutete ein anderes Motiv. Er hatte Aronsky nicht kennengelernt, doch das Buch beunruhigte ihn tief.
»Ich meine, wie alles zusammenpasst«, war alles, was er vorbringen konnte.
»Heydrich wurde aber ermordet.«
»Ich glaube einfach nicht, dass er Jude war. Das Buch stellt das nie wirklich klar.«
»Einer von Hitlers Feldmarschalls war zum Teil Jude.«
»Wer?«, sagte Baum.
»Von Manstein.«
»Stimmt das auch?«
»So sagt man. Er soll es privat einmal zugegeben haben.«
»Gut. Vielleicht. Ich meine nur, das Buch kann viele Leser verwirren. Und wofür? Es kann Jahre dauern, bis man es als Fiktion enttarnt. Ich finde, dass man besonders bei diesem Thema die Wahrheit achten sollte. Irgendjemand wird es sicher veröffentlichen, aber wir werden das
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