Alles, was ist: Roman (German Edition)
Bereitschaft gelegen hatte.
Es war ein Aufbruch dunkler Ahnungen, wie die unheimliche Stille vor einem aufziehenden Sturm. Das grüne Wasser im Hafen, der lange, dunkle Rumpf, kraftvoll und langsam durch das Wasser gleitend, spät am Tag, feierlich gemach, mit allmählich sich formender Bugwelle, dann etwas schneller, fast lautlos vorbei an den großen Umrissen der Hafenkräne, dem Ufer, das sich im Abendnebel verlor, weiße Strudel am Kiel, und hinaus aufs Meer. Alle Geräusche waren gedämpft; es herrschte ein Gefühl von Abschied. Der Kapitän richtete sich an die versammelte Mannschaft, die an Deck gekommen war. Sie hatten ausreichend Munition, Kammern voller Granaten, groß wie Särge, aber nicht genug Treibstoff, wie er erklärte, um zurückzukehren. Dreitausend Mann und ein Vizeadmiral befanden sich an Bord. Sie hatten ihren Eltern und Frauen Abschiedsbriefe geschrieben und fuhren in den Tod. Finde das Glück mit einem anderen , schrieben sie. Seid stolz auf euren Sohn. Das Leben war kostbar für sie. Sie waren ernst und furchtsam. Viele beteten. Das Schiff war dazu bestimmt unterzugehen, als Symbol für den unsterblichen Willen der Nation, sich niemals zu ergeben.
Als die Nacht hereinbrach, fuhren sie an der Küste von Kyūshū entlang, der südlichsten von Japans Inseln, an deren Strand einst die Umrisse eines amerikanischen Schlachtschiffs gezeichnet worden waren, damit die japanischen Piloten den Angriff auf Pearl Harbor üben konnten. Die Wellen brachen und trieben vorbei. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung, fast ein Hochgefühl unter der Besatzung. Im Mondlicht sangen sie Lieder und riefen Banzai ! Vielen unter ihnen fiel auf, dass das Meer an dem Abend ungewöhnlich glänzte.
Sie wurden im Morgengrauen entdeckt, weit entfernt von jedem amerikanischen Schiff. Ein Aufklärungsflugzeug der Navy gab die dringende Meldung durch: Feindliche Verbände unterwegs in südlicher Richtung. Mindestens ein Schlachtschiff, viele Zerstörer … Geschwindigkeit fünfundzwanzig Knoten. Am Morgen war Wind aufgekommen. Die See war rau, mit tief hängenden Wolken und Schauern. Mächtige Wellen rollten an der Schiffsseite vorbei. Dann tauchten wie erwartet auf dem Radar die ersten Flugzeuge auf. Es war nicht nur eine Formation, es waren viele Formationen, ein ganzer Schwarm bedeckte den Himmel, zweihundertfünfzig Trägerflugzeuge.
Sie kamen aus den Wolken, Sturz- und Torpedobomber, mehr als hundert auf einmal. Die Yamato war gebaut, um Luftangriffen zu widerstehen. An allen Geschützen wurde gefeuert, als die erste Bombe einschlug. Einer der Begleitzerstörer hatte plötzlich Schlagseite, tödlich getroffen drehte er sich mit dem dunkelroten Bauch nach oben und sank. Torpedos strömten durch das Wasser auf die Yamato zu, ihr Kiel weiß wie Bindfaden. Das unzerstörbare Deck war aufgebrochen, ein halber Meter Stahl, zerschmetterte und in Stücke gerissene Männer. »Verliert nicht den Mut!«, rief der Kapitän. Offiziere hatten sich auf der Brücke an ihre Gefechtsstationen gebunden, während weitere Bomben das Schiff trafen. Andere schlugen knapp daneben ein, warfen riesige Fontänen auf, Wasserwände, massiv wie Stein, brachen über das Deck. Es war keine Schlacht, es war ein Ritual, der Tod eines riesigen, wilden Tiers, das mit wiederholten Schlägen niedergestreckt wurde.
Eine Stunde war vergangen, und noch immer kamen Flugzeuge, eine vierte Welle, dann eine fünfte und sechste. Die Zerstörung war unvorstellbar. Das Ruder war getroffen, das Schiff drehte hilflos umher, krängte bereits zur Seite, das Meer strömte über das Deck. Mein ganzes Leben war ein Geschenk deiner Liebe , hatten sie ihren Müttern geschrieben. Die Codebücher waren in Blei gebunden, damit sie mit dem Schiff versanken, und ihre Tinte war so beschaffen, dass sie sich im Wasser auflösen würde. Kurz vor Ende der zweiten Stunde mit einer Neigung von fast achtzig Grad, mit Hunderten von Toten und noch mehr Verletzten, begann das Schiff, blind und vernichtet, zu sinken. Wellen schwemmten darüber hinweg, Männer, die sich an Deck festhielten, wurden in alle Richtungen getragen. Als es unterging, formte sich ein gewaltiger Strudel, ein Sog, in dem keiner der Männer überleben konnte, sie wurden einfach in die Tiefe gerissen, als fielen sie durch die Luft. Und dann die noch größere Katastrophe, das Waffenlager, die riesigen Granaten, Tonnen über Tonnen rutschten aus ihren Halterungen und fielen mit der Spitze voran in die Geschütztürme.
Weitere Kostenlose Bücher