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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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erstaunlicher Mann«, sagte sie. »Er kennt einfach jeden. Er war sehr nett zu mir.«
    »Wie das?«
    »Oh, in vielerlei Hinsicht. Ich kann mich bei ihm als Pirat verkleiden.«
    »Sie meinen letzte Nacht.«
    »Hm.«
    Sie lächelte ihn an. Er musste sie immerzu ansehen, die Art, wie sich ihr Mund bewegte, wenn sie sprach, die kleinen beiläufigen Gesten ihrer Hand, ihr Duft, sie war wie eine fremde Sprache, ganz anders als seine.
    »Die Männer müssen Ihnen scharenweise hinterherlaufen.«
    »Nicht, wie man das gern hätte«, sagte sie. »Wissen Sie, was mir passiert ist? Beängstigend.«
    Sie war in der Nähe von Northampton unterwegs gewesen und hatte einen Unfall mit dem Auto. Ein wenig durchgerüttelt war sie in einem kleinen Hotel untergekommen, hatte dort zu Abend gegessen und am Kamin ein Glas Wein getrunken. Später dann auf ihrem Zimmer, als sie zu Bett gehen wollte, hörte sie zwei Männer vor ihrer Tür leise miteinander reden. Dann versuchten sie, ins Zimmer zu kommen. Sie sah, wie sich der Türknauf bewegte. Gehen Sie weg!, rief sie. Es gab kein Telefon im Zimmer, was sie wahrscheinlich wussten. Sie sprachen mit ihr durch die Tür, sie wollten nur mit ihr reden.
    »Nicht heute Abend. Ich bin müde«, sagte sie. »Morgen.«
    Der Türknauf bewegte sich wieder, sie versuchten es noch einmal. Nur um zu reden, versicherten sie ihr, sie wüssten, dass sie morgen nicht mehr da sein würde.
    »Doch, doch. Ich bin da«, versprach sie.
    Nach einer Weile war es still. Sie horchte an der Tür, dann öffnete sie sie einen Spalt, sie hatte furchtbare Angst, und als sie niemanden sah, nahm sie ihre Sachen und floh. Sie fuhr mit dem Auto los, das überall schepperte, und übernachtete im Wagen neben ein paar noch im Bau befindlichen Häusern.
    »Sie scheinen Glück zu haben«, sagte er. Er nahm ihre Hand, sie war sehr schlank. »Lassen Sie mal sehen«, sagte er. »Das ist die Lebenslinie« – er berührte sie mit dem Finger. »Wie es aussieht, werden Sie uralt, ich würde sagen über achtzig.«
    »Ich glaube nicht, dass ich mich darauf freue.«
    »Na ja, vielleicht ändern Sie ja noch Ihre Meinung. Ich sehe ein paar Kinder, hier, haben Sie Kinder?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Ich sehe zwei oder drei. Hier bricht es ein wenig ab, schwer zu sagen.«
    Er saß da und hielt ihre Hand, die sie für einen kurzen Moment um seine schloss.
    »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, sagte sie. »Begleiten Sie mich noch kurz nach dem Essen? Ein paar Häuser weiter ist ein Geschäft mit einem sehr schönen Kleid, das ich mir angesehen habe. Wenn ich es anprobiere, sagen Sie mir dann ja oder nein?«
    Sie probierte nicht eines an, sondern zwei, sie kam hinter dem Vorhang vor und drehte sich leicht nach links und rechts, es war ein kleiner, aber eleganter Laden. Der weiße Träger ihres BHs blitzte kurz hervor, sie schob ihn unter, als sei es ihr gerade eingefallen, er schien wie ein Zeichen von Reinheit. Als sie sich verabschiedeten, war es wie das Ende eines Stücks. Wie nach dem Theater, wenn man wieder auf die Straße trat. Er nahm sich beim Gehen in den Schaufenstern wahr und blieb stehen, um sich zu betrachten. Er fühlte sich Herr über die Stadt, nicht der viktorianischen Stadt mit ihren dunklen Holzinterieurs und milchigen Marmorhallen, den hohen roten Bussen, die an ihm vorbeirollten, den endlosen Fenstern und Türen, sondern einer anderen Stadt, sichtbar, und noch ungeahnt.
    Sie willigte ein, ihn zum Abendessen zu treffen, aber sie war zu spät, und nach zwanzig Minuten an der Bar, in denen er immer unruhiger wurde, war ihm klar, dass sie nicht kommen würde. Vielleicht war es ihr Mann, oder auch ein Sinneswandel, auf jeden Fall schloss es ihn aus. Er war sich seiner Bedeutungslosigkeit bewusst und auch der Trivialität, und dann, plötzlich, änderte sich alles, als sie durch die Tür trat.
    »Entschuldigung, dass ich so spät bin«, sagte sie. »Haben Sie lange gewartet?«
    »Nein, gar nicht.«
    Die Minuten des Unglücks waren sofort verschwunden.
    »Ich war am Telefon mit meinem Mann, wir haben wie üblich gestritten«, sagte sie.
    »Worüber?«
    »Oh, Geld, einfach alles.«
    Sie trug ein Kostüm und eine schwarze Seidenbluse. Sie sah aus, als läge jede Art von Schwierigkeit in weiter Ferne. Beim Essen saß sie auf einer Bank an der Wand, und er ihr gegenüber konnte sie ansehen, so viel er wollte, er spürte den Glanz, den sie um sich verbreitete. Während des Essens sagte er:
    »Haben Sie je Ihr Herz verloren?«
    »Sie

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