Alles, was ist: Roman (German Edition)
auf den Deckel der Kanne gelegt. Es war noch früh. Er knöpfte sich das Hemd zu.
»Ich fühle mich wie Stanley Ketchel.«
»Wer ist das?«
»Ein ehemaliger Boxer. Es gab einen berühmten Zeitungsartikel über ihn. Stanley Ketchel, Weltmeister im Mittelgewicht, starb gestern Morgen durch die Hand des Mannes, für dessen Frau er gerade Frühstück machte.«
»Das ist witzig. Hast du das geschrieben?«
»Nein, es sind aber berühmte Anfangszeilen. Ich mag Eröffnungen, sie können wichtig sein. Wie unsere. Man vergisst sie einfach nicht. Ich dachte … ich weiß nicht, was ich dachte, zum Teil dachte ich wohl, unmöglich.«
»Das hat sich aber geklärt.«
»Ja.«
Sie saßen eine Weile still da.
»Es ist so. Ich muss morgen wieder fahren.«
»Morgen«, sagte sie. »Und wann kommst du wieder?«
»Ich weiß nicht. Ich kann es nicht sicher sagen. Es hängt wohl von der Arbeit ab.«
Er fügte hinzu: »Ich hoffe, du vergisst mich nicht.«
»Da kannst du beruhigt sein.«
Das waren die Worte, die er einsteckte und über die er noch oft mit den Fingern strich, dazu Bilder von ihr, die so konkret waren wie Fotografien. Er wollte ein Foto von ihr, hielt sich aber zurück, sie nach einem zu fragen. Er würde das nächste Mal selber eins machen und es im Büro zwischen den Seiten eines Buchs bewahren, ohne es zu beschriften, kein Name oder Datum. Er stellte sich bereits vor, wie es jemand zufällig fand und fragte, wer das sei. Und er würde es ihm einfach wortlos aus der Hand nehmen.
10. Cornersville
Caroline Amussen lebte, wie auch schon die Jahre zuvor, in einem Apartment am Dupont Circle, dessen Einrichtung bereits zu Anfang nicht sehr elegant gewesen war und sich seither kaum verändert hatte. Das gleiche lange Sofa, dieselben Liegen und Lampen, derselbe weiß lackierte Tisch in der Küche, an dem sie am Morgen rauchte und ihren Kaffee trank und, nachdem sie die Zeitung gelesen hatte, im Radio ihren Lieblingsmoderator hörte, dessen bissige Kommentare sie mit leicht heiserer Stimme vor ihren Freunden wiederholte, eine Stimme, in der die Erfahrung anklang wie auch der Alkohol. Sie war mit verschiedenen Frauen befreundet, einige waren geschieden, andere verheiratet, darunter auch Eve Lambert, eine Freundin aus Kindertagen, die in die Lambert-Familie und damit in jede Menge Geld eingeheiratet hatte. Caroline wurde immer noch regelmäßig zu den Lamberts eingeladen und ging manchmal mit ihnen segeln, auch wenn Brice Lambert, sportiv und mit breitem Gesicht, wohl nicht sehr oft mit seiner Frau segeln ging, sondern, so sagte man, mit einer jungen Reporterin, die für die Gesellschaftsspalte schrieb. Auf dem Boot war man ganz unter sich, und Gerüchten zufolge ließ Brice seine Freundin den ganzen Tag nackt herumlaufen. Aber woher wollte man das wissen? dachte Caroline.
Mit ihren Freundinnen traf sie sich zum Lunch, nachmittags oder am Abend spielten sie oft Karten. Sie sah von allen immer noch am besten aus, und abgesehen von Eve hatte sie auch die beste Partie gemacht. Die anderen hatten ihrer Meinung nach unter ihrem Niveau oder einfach uninteressante Männer geheiratet, Verkäufer und stellvertretende Geschäftsführer. Washington konnte langweilig sein. Jeden Nachmittag um fünf Uhr leerten sich die Tausenden von Regierungsbüros, die Regierungsbeamten gingen nach Hause und hatten den ganzen Tag George Amussens hart verdientes Geld zum Fenster rausgeworfen, wie er sich gerne ausdrückte. Die Regierung sollte abgeschafft werden, sagte er, der ganze verdammte Apparat. Ohne wären wir besser dran.
Carolines Miete wurde von Amussen bezahlt, für ihn war es keine große Bürde, seine Firma verwaltete das Gebäude, und er konnte die Miete als Teil der allgemeinen Kosten für das Haus absetzen. Ihr Unterhalt belief sich auf dreihundertfünfzig Dollar im Monat, dazu bekam sie noch einen kleinen Zuschuss von ihrem Vater. Es war nicht genug, um Partys zu geben oder ins Kasino zu gehen, aber hin und wieder wettete sie bei den Pferderennen, und bei schönem Wetter zog sie sich hübsch an und fuhr nach Pimlico raus, meist in Begleitung von Susan McCann, die früher einmal fast einen brasilianischen Diplomaten geheiratet hatte, aber dann kam dieses desaströse Wochenende in Rehoboth dazwischen, bei dem sie sich, wie sie Caroline gestand, wohl zu engstirnig gezeigt hatte, und bald darauf traf er sich mit einer anderen Frau, die in Georgetown ein Antiquitätengeschäft besaß.
Caroline war nicht unglücklich. Sie war
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