Alles, was ist: Roman (German Edition)
übergewichtige Frau Mitte fünfzig namens Gwen Godding die Ermittlungen führte. Sie war viermal verheiratet gewesen, das zweite und längste Mal mit einem kalifornischen Highway-Polizisten, und zweimal verwitwet, fand aber, dass sie es noch einmal versuchen sollte. Sie war sympathisch und intelligent, ihre Schminke, so Wells, schien wie eine Art Verkleidung oder von einem Bestatter aufgetragen. Seine Recherche war akribisch, und er konnte arbeiten wie ein Bauer, mit seinem muskulösem Kiefer sah er sogar wie einer aus. Er trug eine Brille aus Drahtgestell, manchmal auch zwei auf einmal, wenn er sich etwas von nahem besah, schob er sie aber nach oben auf die Stirn. Seine Bücher verkauften sich sehr gut, und das erste war für einen Film gekauft worden, als Vehikel für einen in die Jahre gekommenen Star.
Wells liebte es zu schreiben, am Tisch zu sitzen, zu lesen und sich dann irgendwann an die Schreibmaschine zu setzen und loszutippen. Er sprach nur selten von seiner Zeit auf See, dem Arbeitsleben, wie er es nannte, davon, wie er eines Morgens, das Hemd aus der Hose, mit einem Sixpack Bier im Arm und einem Tripper im Gepäck nach Hause wankte. Er erinnerte sich an Samoa und ein Hotel mit »Begrenztem Zimmerservice aufgrund großer Entfernung zur Küche«, wie ein Schild den Gast informierte.
»Das kann man von hier nicht behaupten«, sagte er.
Sie saßen in der Küche.
»Warum seid ihr eigentlich hier raufgezogen?«, fragte Bowman.
»Ich wollte vom Wasser weg«, sagte Wells. »Als wir aus Mexiko kamen – ich hatte wirklich genug von Mexiko, riesige Moskitos, animales nennt man sie da –, waren wir zuerst auf St. Croix, in Frederiksted. Wir hatten ein altes dänisches Kapitänshaus unten am Wasser. Holzläden, Hibiskus, Palmen. Warst du schon mal in Frederiksted? Die Stadt ist so gut wie schwarz. Niemand scheint zu arbeiten. In der Bank hing ein »Zu vermieten«-Schild im Fenster. Aber man sah wahnsinnig schöne schwarze Frauen in weißen Abendkleidern am Abend aus dem Hotel kommen und auf den Straßen flanieren. Gegenüber von unserem Haus war die Bibliothek. Dort saßen die Schulmädchen an den Tischen, immer dahingefläzt, die Arme über die Lehne gelegt, die Jungen flüsterten ihnen den ganzen Tag zu. Da begreift man, worum es bei der Sklaverei im Grunde ging. Und die Bücher – niemand las irgendwelche Bücher –, die einzigen Bücher, die ausgeliehen wurden, waren Schwangerschaftsratgeber.«
Michele – Mitch, wie er sie nannte – war eine ruhige Frau in ihren Vierzigern, unaufgeregt und aufmerksam ihm gegenüber, tolerant. Sie kannte seine Ansichten und sein Wesen. Auch wenn es kaum Anzeichen der Uneinigkeit zwischen ihnen gab, musste es sie geben, aber beide, so fühlte Bowman, wurden von einem starken Sog zum ehelichen Leben getragen, zu einem gemeinsamen Leben, irgendwo auf dem Land, früh am Morgen, Nebel hängt über den Feldern, eine Schlange im Garten, Schildkröten im Wald. Dagegen stand die Stadt mit ihren unzähligen Attraktionen, die Kunst, die Fleischeslüste, die Ausdehnung der Leidenschaften. Wie eine riesige Oper mit einer endlosen Besetzungsliste und tumultartigen wie auch einsamen Szenen.
Er spürte nicht unbedingt die Absenz der Ehe, aber eines greifbaren Lebensmittelpunkts, um den sich die Dinge fügten und ihren Platz einnahmen. Ihm war schon klar, warum er daran dachte, das Haus hier, Wells und die Beschreibung von dem Kapitänshaus in Frederiksted. Er stellte sich sein eigenes Haus vor, wenn auch nur vage. Er sah es vor sich, aus irgendeinem Grund war es Herbst. Es regnete, Regen hing verschwommen an den Scheiben, und er hatte gegen die Kälte Feuer im Kamin gemacht.
Er nahm sich Zeit, um danach zu suchen.
»Ich bin an einem kleinen Haus mit ein oder zwei außergewöhnlichen Zimmern interessiert«, erklärte er der Maklerin.
Sie war eine spitzfindige Frau und Vorstandsmit‚glied des Golfclubs in der Nähe.
»Ich verstehe nicht, was Sie mit außergewöhnlich meinen«, sagte sie.
»Warum zeigen Sie mir nicht einfach, was Sie haben? Zeigen Sie mir doch eins oder zwei Ihrer Lieblingsobjekte.«
»Und in welchem Preissegment bewegen wir uns?«
»Na ja, von zweitausend Dollar aufwärts«, sagte er, um sie zu ärgern.
»Wir haben nichts in dieser Preisklasse«, sagte sie. »Außerdem habe ich ein Geschäft zu führen.«
»Das weiß ich doch. Dann sagen wir mal, wie viel bräuchte ich in etwa für ein Haus mit zwei Schlafzimmern?«
»Das hängt ganz von dem Haus und der
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