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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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hattest aber einen Freund.«
    »Ich hatte keinen Freund«, sagte sie.
    »Ach, ich dachte.«
    »Ich war verheiratet.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Nur kurz«, sagte sie.
    »Du wirktest so unschuldig.«
    »Ich war unschuldig.«
    Sie war immer noch unschuldig. Auch etwas schüchtern, wie ihm zuvor nie aufgefallen war.
    »Ich vermisse Neil«, sagte er. »Ich sehe ihn nicht mehr so oft.«
    »Er hat mir ein paar Gedichte geschickt«, sagte sie. »Ich meine, damals.«
    »Das wusste ich nicht. Er war verrückt nach dir. Es gab auch ein paar Gedichte, die er dir nicht geschickt hat.«
    »Wirklich?«
    »Oh, nichts Schlimmes.«
    »Ich war mir nie sicher, ob du mich magst«, sagte sie.
    »Ich? Das wundert mich. Ich mochte dich sehr.«
    »Neil war nicht der, für den ich mich interessiert habe«, sagte sie.
    Sie fuhr auf die gleiche undramatische Weise fort. »Das warst du. Ich hatte aber nicht den Mut.«
    Er fühlte sich albern.
    »Ich war verheiratet.«
    »Das machte nichts«, sagte sie.
    »Du solltest mir das nicht sagen. Ich weiß nicht, es verwirrt mich.«
    »Wo ich es schon mal zugebe«, sagte sie, »kann ich auch gleich sagen, dass sich nichts geändert hat.«
    Es war einfach und direkt.
    »Melde dich doch mal. Ich würde dich gerne sehen«, sagte sie.
    Sie sah ihn unmittelbar an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. In dem Moment kam ihr Mann zurück, der an der Bar ein paar Drinks geholt hatte. Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten zu dritt. Bowman hatte das Gefühl, dass es alle wussten. An dem Abend sprach er nicht mehr mit ihr.
    Er sah sie jetzt natürlich in einem anderen Licht. Er überlegte sich, sie anzurufen, hatte aber das Gefühl, dass es nicht richtig wäre, moralisch gesehen und auch sonst. Sie waren nicht mehr dieselben wie früher. Dennoch bewunderte er sie, das gezeichnete Mädchen von einst, die selbstsichere Frau von heute, im Einklang mit sich selbst. Sie war in einem Alter, in dem sie noch immer nackt sein konnte. Er könnte das Büro am Nachmittag für ein paar Stunden verlassen, im Grunde, wann er wollte, genau wie sie. Es war nicht die Affäre selbst, es war, was ihr gebührte.
    Du bist ein Idiot, sagte er sich. Er betrachtete sich am Morgen im Spiegel, sein Haar war nicht mehr so voll, aber sein Gesicht schien noch dasselbe. Er war an einem Punkt angekommen, an dem er sich seiner Fähigkeiten bewusst war, unter anderem, wie er Schriftsteller dazu brachte, von ihm veröffentlicht werden zu wollen. Er wusste, dass ein paar der besten Autoren als Journalisten angefangen hatten und manchmal als Journalisten endeten, wenn die Leidenschaft verblasste. Er wusste auch, dass er die Fähigkeit besaß, Menschen gegen sich aufzubringen. Das war Teil des Ganzen. Er konnte über Bücher und Schriftsteller reden, darüber, wie die Literatur in einem Land erblühte und dann in einem anderen, nicht durch einen einzelnen großen Schriftsteller, sondern immer durch eine Gruppe, fast so, als bräuchte es genug Holz, um richtig Feuer zu machen, ein oder zwei große Späne reichten nicht. Er redete über die russische Literatur, sprach vielleicht ein wenig zu lange über Gogol, dann über die Franzosen und Engländer. Sie alle hatten ihre große Zeit, Paris, London. Jetzt war es zweifellos New York.
    »Würde das Genie uns vielleicht seinen Namen verraten?«, fragte ein Mann ihm gegenüber am Tisch.
    Er hatte mit einigen Dichtern zu tun, nicht eng und nicht als ihr Lektor, wenn Lektor überhaupt das richtige Wort war, da Gedichte im Kern unverbrüchlich waren. Gedichte wurden größtenteils McCann überlassen, der mehr oder weniger eingestellt worden war, um Eddins zu ersetzen. Er kam von der Ostküste und ging mit einem Stock. Als Kind hatte er Polio, er und sein Zimmernachbar in Groton School. Sie beide hatten dem erkrankten Kapitän des Footballteams aus der Kirche geholfen und sich bei ihm angesteckt. Damals in den 1930er Jahren gab es jeden Herbst eine Epidemie – die Eltern lebten in ständiger Angst davor. McCann war mit einer englischen Journalistin verheiratet, die für den Guardian schrieb und oft beruflich verreist war.
    Gedichtbände verkauften nur wenige Exemplare. Sie zu veröffentlichen war ein wohltätiger Akt, pflegte Baum zu sagen, hauptsächlich, um McCann auf die Palme zu bringen, obwohl die Bücher eine wichtige Zierde für das Renommee des Hauses waren. Da nur wenige Menschen nach Ende ihrer Schulzeit Gedichte lasen, war der Kampf um öffentliches Ansehen unter Dichtern besonders groß,

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