Alles, was ist: Roman (German Edition)
Vivian? Wir haben keinen Kontakt.«
»Es geht ihr gut. Hat sich nicht groß verändert.«
»Wieder verheiratet? Ich nehm an, ich hätte davon gehört.«
»Nein, sie hat nicht wieder geheiratet, aber weißt du wer? George.«
»George? Wieder geheiratet? Wen?«
»Eine Frau von dort unten. Peggy Algood. Ich glaube nicht, dass du sie kennst.«
»Wie ist sie so?«
»Ach, du weißt schon. Vielleicht zehn Jahre jünger als er. Man kommt gut mit ihr aus. Sie war schon zweimal verheiratet. Auf ihrer zweiten Hochzeitsreise soll sie ihrer Mutter eine Postkarte geschrieben haben. Algood auch nicht gut . Kann auch nur eine Geschichte sein. Ich mag sie.«
»Wirklich schön dich zu sehen, Bryan. Schade, dass, na ja … unsere Wege auseinandergingen. Wie geht es Liz Bohannon? Gibt es die noch?«
»Ja. Doch. Die gibt es noch. Ich glaube, sie reitet nicht mehr. Wir werden dort nicht mehr eingeladen. Beverly hat da mal ein paar Sachen gesagt.«
Bryan war offenherzig, was seine Frau betraf, aber er beklagte sich nicht. Er behandelte sie beiläufig, wie schlechtes Wetter vielleicht.
»Welche Show seht ihr euch an?«, fragte Bowman.
»Pal Joey .«
»Ah, das ist ganz gut. Wär schön, wenn wir uns mal wieder sehen.«
»Fänd ich auch.«
15. Das Cottage
An einem heißen Tag im Juni fuhr Bowman mehr als vier Stunden dem Hudson folgend von New York nach Chatham, ein früher einmal wegen einer Liebesgöttin geheiligter Ort, der Dichterin Edna Millay, einer Sirene der 1920er Jahre. Er wollte dort mit einem seiner Lieblingsautoren zwei Tage an einem Manuskript arbeiten, einem Mann mit kantigem Gesicht, etwas über fünfzig, mit blauen Augen und schütterem Haar, der als junger Mann Dartmouth abgebrochen hatte, um für drei Jahre zur See zu fahren. Sein Name war Kenneth Wells. Er und seine Frau – es war seine dritte Ehe, auch wenn er nicht wie ein Mann wirkte, der zum wiederholten Male verheiratet war; er war häuslich und hatte schlechte Augen, sie war mit seinem Nachbarn verheiratet gewesen, und eines Tages waren sie einfach nach Mexiko abgehauen und nicht zurückgekehrt – lebten in einem Haus, das Bowman sehr mochte und ihm in Gedanken immer als Ideal galt. Es war ein einfaches Holzhaus, unweit der Straße, und ähnelte einem Farmhaus oder einer Scheune. Man kam durch die Küche hinein. Zur einen Seite lag ein Schlafzimmer, zur anderen das Wohnzimmer. Das große Schlafzimmer war oben. Die Türen im Haus waren aus irgendeinem Grund breiter als gewöhnlich, ein paar hatten Glasscheiben im oberen Paneel. Es war wie ein kleines Familienhotel irgendwo im Westen.
Der Tag war lang gewesen. Der Sommer war früh gekommen, die Sonne traf das Grün der Bäume mit ungeheurer Kraft. In kleineren Städtchen entlang des Wegs schlenderten Mädchen mit gebräunten Gliedern selbstvergessen an Geschäften vorbei, die alle geschlossen schienen. Hausfrauen fuhren mit Kopftüchern in ihren Autos, ihre Männer standen mit gelben Schutzhelmen neben Schildern, die vor Straßenbauarbeiten warnten. Die Landschaft war wunderschön, wenn auch lethargisch. Die Leere der Dinge erhob sich wie der Klang eines Chors, und der Himmel wurde noch blauer, noch weiter.
Es war die Zeit, in der in Paris die langwierigen und aussichtslosen Verhandlungen über die Beendigung des Vietnamkriegs seit etlichen Monaten anhielten. Amerika befand sich in einem einzigen Zustand des Aufruhrs, die ganze Nation war durch den Krieg gespalten, aber Wells schien merkwürdig teilnahmslos. Er interessierte sich mehr für Baseball, von anderen Leidenschaften hielt er sein Leben fern. Er las sehr viel, genau wie seine Frau. Ihre Bücherregale waren in ihre und seine Bücher unterteilt. Auf einem alten Marmorbuffet stapelten sich weitere Bücher, viele davon neu. Eine Postkarte der Piazza Maggiore in Bologna war an die Wand gepinnt, daneben ein Foto von einem Mädchen in Bikini und ein Bild von einem Pastagericht, das aus einer Zeitschrift ausgeschnitten war.
»T . T . T.«, sagte Wells.
»T . T . T.?«
»Tempel, Titten und Tortellini.«
Er grinste und entblößte die Lücken zwischen seinen Zähnen, die wie Walrosshauer in alle Richtungen standen. Es gab auch noch eine Schwarz-Weiß-Fotografie von ein paar deutschen Frauen, die, vor Ergriffenheit weinend, einer Naziparade beiwohnen, und oben, obwohl es nie jemand sah, ein gerahmtes Foto von Beinen und dem Unterleib einer nackten Frau, die über ein Bett drapiert lag. Er schrieb anspruchsvolle Krimis, in denen eine
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