Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
Vom Netzwerk:
selbstsichere Art und den dunkelroten Lippenstift, den sie benutzte, bis zu dem Abend, als Anet mit ihr ins Kino ging und erst nach Mitternacht nach Hause kam. Christine hatte besorgt vor dem Fernseher gesessen und gewartet. Endlich hörte sie die Tür in der Küche.
    »Anet?«, rief sie.
    »Ja.«
    »Wo bist du gewesen? Es ist mitten in der Nacht.«
    »Tut mir leid. Ich hätte anrufen sollen.«
    »Wo warst du? Das Kino ist seit Stunden aus.«
    »Wir waren nicht im Kino«, sagte Anet.
    Bowman hatte das Gefühl, er sollte sich vielleicht zurückziehen. Er ging in die Küche, konnte sie aber noch hören.
    »Du hast gesagt, ihr würdet ins Kino gehen.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Und wo wart ihr dann?«
    »Wir sind rumgelaufen.«
    »Rumgelaufen? Wo?«
    »Nur so. Auf der Straße.«
    Christines Nerven waren durch die Warterei angespannt, und etwas in Anets Stimme widersetzte sich ihr.
    »Hast du getrunken?«
    »Warum fragst du mich das?«
    »Das braucht dich nicht zu kümmern. Hast du?«
    Es folgte Stille.
    »Hast du geraucht? Gras?«
    »Ich hatte ein Glas Wein.«
    »Wo hast du das getrunken? Das ist verboten, das weißt du, oder?«
    »Nicht in Europa.«
    »Wir sind aber nicht in Europa. Wo wart ihr? Mit wem wart ihr unterwegs?«
    »Mit ein paar Freunden von Sophie.«
    »Jungen.«
    »Ja.«
    Sie sprach mit leiserer Stimme weiter.
    »Und? Wer sind die? Wie heißen sie?«
    »Brad.«
    »Brad, und weiter?«
    »Ich weiß nicht, wie er weiter heißt.«
    »Wer war der andere Junge?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Anet.
    »Du weißt also nicht, wie sie heißen.«
    »Sophie weiß es«, sagte Anet.
    »Warum weinst du?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Weswegen weinst du?«, wiederholte Christine.
    »Ich weiß es nicht!«
    »Oh, doch.«
    »Nein!«
    »Anet!«, rief Christine.
    Sie hatte das Zimmer verlassen. Nach ein paar Augenblicken kam Christine in die Küche.
    »Ich konnte alles hören«, sagte Bowman.
    Christine war sichtlich beunruhigt.
    »Das ist mein schlimmster Albtraum«, sagte sie.
    »Sie schien mir sehr ehrlich. Hörte sich nicht so an, als sei da wirklich was gewesen.«
    »Warum tut sie das?«
    »Sie tut im Grunde ja nichts. Sie treffen nun mal Jungs.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Was meinst du, woher will ich das wissen?«
    »Du hast keine Tochter.«
    »Nein«, sagte er.
    Die Haustür schlug zu. Christine schloss die Augen und legte die Fingerkuppen auf die Lider, um sich zu beruhigen.
    »Weißt du? Ich hab wirklich Angst, gleich ein Auto zu hören. Liebling, bitte. Könntest du nicht rausgehen und sie wieder reinholen? Ich bin einfach zu aufgeregt.«
    Bowman sagte nichts, aber ein paar Momente später ging er im Dunkeln hinaus. Schließlich entdeckte er sie am Ende der Einfahrt. Sie hatte ihn gehört, drehte sich aber nicht um. Er fühlte sich nicht sicher bei dem, was er tat.
    »Anet«, sagte er. »Kann ich kurz mit dir sprechen?«
    Er wartete.
    »Mich geht es nicht wirklich etwas an«, sagte er. »Aber ich denke, die ganze Sache ist wahrscheinlich nur halb so schlimm.«
    Sie schien ihm nicht zuzuhören.
    »Vielleicht könntest du sie das nächste Mal einfach anrufen und sagen, dass alles in Ordnung ist, dass du ein wenig später kommst. Würdest du das tun?«
    Sie antwortete ihm nicht. Sie beobachtete etwas Weißes, das sich in der Ferne über den dunklen Baumkronen bewegte. Es zog über sie hinweg, schien irgendwie umzudrehen und außer Sichtweite zu verschwinden. Plötzlich tauchte es fast augenblicklich etwas weiter höher wieder auf.
    »Das ist ein Reiher«, sagte er.
    Sie sahen zu, wie er sich den dichten schwarzen Bäumen näherte und dann durch eine Öffnung zwischen den höchsten Ästen hinauf in den Nachthimmel flog.
    »Das war ein Reiher?«, sagte sie.
    »Man konnte seinen Hals sehen.«
    »Ich wusste nicht, dass sie nachts fliegen.«
    »Anscheinend schon.«
    Sie standen eine Weile. Seine Angst vor ihr war ein wenig gewichen, dann, ohne etwas Weiteres zu sagen, folgte er ihr zurück zum Haus.
    Eines Nachmittags in jenem Herbst rief Christine ihn an. Ihre Stimme klang aufgeregt.
    »Philip?«
    »Ja. Was ist?«
    »Etwas Wunderbares. Ich habe ein Haus gefunden.«
    »Was für ein Haus?«
    »Ich habe das perfekte Haus gefunden. Nach dem du immer gesucht hast. Ich wusste es sofort, als ich es sah. Es ist ein altes Haus, nicht sehr groß, aber es hat vier Schlafzimmer, und es liegt an einem Teich. Der Teich gehört dazu. Es gehört einem alten Paar, das dreißig Jahre dort gelebt hat, sie haben es noch nicht annonciert,

Weitere Kostenlose Bücher