Alles, was ist: Roman (German Edition)
schwer, von ihr akzeptiert zu werden. Und dann spürte er auch ihren Kummer darüber, dass er der Liebhaber ihrer Mutter war – ein Wort, das er nie benutzte –, wie eine Eifersucht, die einem im Blute steckt. Sie zeigte es, indem sie ihn ausschloss, auch wenn sie manchmal zu dritt beisammensaßen, ganz entspannt, und Musik hörten oder fernsahen. Er bemerkte die weiblichen Gesten, in denen sie ihrer Mutter ähnelte. Trotz allem war er sich immer ihrer Gegenwart bewusst, manchmal entsetzlich bewusst. Seine Gedanken trieben zurück zu Jackie Ettinger, das Mädchen damals in Summit, das geradezu mythische Mädchen. Er hatte Jackie nie gekannt. Es schien, als würde er auch Anet nie kennenlernen.
Unter der Woche, wenn er fort war, konnte er ruhiger darüber nachdenken, über die Person, die er gerne wäre, der dauerhafte Partner – nein, das war nicht das richtige Wort –, der Mann, den ihre Mutter liebte, und wahrscheinlich nicht einmal auf sexuellere Art als Anets Vater, auch wenn das unmöglich war angesichts der Intensität von Bowmans Gefühlen, eine emotionale Intensität, die fast immerzu präsent war.
An einem Sonntagmorgen, die Hitze des Tages ließ noch auf sich warten, nur das Licht lag bereits gleißend am langen Strand, die Brandungslinie von einem fast violenten Weiß, saßen sie nahe der Dünen mit verschiedenen Teilen der Zeitung und lasen, versunken, die Sonne auf sich. Sie waren fast allein. Es war wie in Mexiko, dachte er, auch wenn er noch nie dort gewesen war. Die Einfachheit. Es war Juni, der Sommer war da. Ein paar Leute waren schon angereist, aber noch nicht die Massen. Es war eine Art Exil. Sie lasen, was in der Welt passiert war. Wenn die Sonne über ihren Schultern stand, würden sie zum Mittagessen nach Hause gehen.
Die Murphys in Antibes mussten ein solches Leben geführt haben. Sie hatten ein Haus in der Nähe, etwas weiter östlich. Gerald Murphy schwamm sehr gerne. Er schwamm jeden Tag eine Meile im Meer, erzählte Bowman, aber es schien niemanden zu interessieren. Es waren bereits ein paar Menschen im Wasser, drei oder vier, wie er bemerkte. Er stand auf und ging zum Wellenrand. Er war überrascht, wie warm das Wasser war, viel wärmer, als er gedacht hatte. Es umspülte fast verführerisch seine Knöchel. Er watete bis zu den Knien hinein.
Er ging zurück zu den verwitterten Zaunlatten, bei denen sie lagen.
»Das Wasser ist warm«, sagte er.
»Das sagst du immer.«
»Es ist ziemlich warm.«
»Brrr«, machte Anet.
»Probiert es selbst.«
»Anet, geh du«, sagte Christine.
»Ich hab Angst vor den Wellen.«
»Das sind keine Wellen, das schunkelt nur. Komm schon, ich geh auch mit rein. Philip hat mich letzten Sommer fast ertränkt.«
»Wie das?«
»In ein paar echten Wellen. Heute sind sie nicht so hoch. Komm, lass uns reingehen.«
Es war eisig. Anet stand unwillig bis zu den Knöcheln im Wasser, aber Christine watete hinein, und sie folgte ihr. Der Grund war glatt. Sie liefen durch die niedrigen Wellen, bis sie ins Tiefe kamen, wo die Dünung sie sanft nach oben hob. Sie schwammen, ohne zu sprechen, nur den Kopf über den Wellen, sich hebend und wieder senkend. Der Himmel schien alle Gefühle zu glätten. Zweimal in den Wochen zuvor hatte Anet ihm nach einem Ratschlag gesagt: »Du bist nicht mein Vater.« Es hatte ihm einen Stich versetzt, doch jetzt lächelte sie ihn an, nicht herzlich, aber zufrieden.
»Und?«, sagte er zu ihr.
»Wirklich toll«, antwortete sie.
Sie wateten zu dritt ans Ufer, außer Atem und lächelnd. Anet ging voraus, geschmeidig, mit langen Schritten, sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, um es zu entwirren. Dann setzte sie sich dicht neben Christine, ihre Knie berührten sich fast, und lehnte sich glücklich an sie.
Sie hatte ein paar Freunde gefunden, darunter ein Mädchen namens Sophie, die schon sehr selbstbewusst wirkte, mit welligem blondem Haar. Sie war die Tochter eines Psychiaters. An einem verregneten Tag saßen sie zu viert beisammen und spielten Hearts . Sophie hatte sich einen Ohrring herausgenommen und untersuchte ihn, während das Spiel weiterging. Als sie wieder an der Reihe war, warf sie ein niedriges Pik ab.
»Da hast du einen Fehler gemacht«, sagte Bowman hilfsbereit.
»Ach, wirklich?«, sagte sie. Sie übte bereits fürs Leben.
Sie machte sich nicht die Mühe, die schlecht gespielte Karte wieder aufzunehmen, dann nahm sie sie aber doch zurück, fast geduldig, und spielte eine andere. Christine bewunderte ihre
Weitere Kostenlose Bücher