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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Guesken
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Jahre alt. Er trägt eine grüne Latzhose, die ihm viel zu groß ist, und löchrige Stiefel. Einen Papa hat er nicht, aber seine Mama ist eine wunderschöne Frau mit wallendem, dunkelbraunem Haar, aber so bettelarm, dass sie sich das Geld für ihren Lebensunterhalt in einer Schankwirtschaft im niederländischen Leiden verdienen muss. Sie bereitet die Speisen zu, die die Gäste bestellen.

    »Nun mach schon!«, treibt der Wirt sie an, ein fetter Kerl, der nach Schweiß riecht und sich ständig unter dem Hemd kratzt. »Die Leute warten nicht gern.« Während sie sich, so gut sie kann, abmüht, wirft er ihr begehrliche Blicke zu. Er verfolgt jede ihrer Bewegungen, und die Gier treibt Schweißperlen auf seine Stirn. Schließlich kann er der Versuchung nicht widerstehen und tätschelt mit seiner fleischigen Hand ihren Hintern. Packt sie und versucht sie an sich zu ziehen, doch sie entwindet sich ihm. »Blöde Schlampe!«

    Er wirft ihr einen Lappen Fleisch hin. »Da! Zerschnippele das in kleine Stücke, damit wir daraus Gulasch machen können. Beeil dich gefälligst und schlaf nicht dabei ein!«

    Der kleine Jan steht dabei und sieht zu. Er mag den dicken Mann nicht und findet, dass er nicht nett zu seiner Mama ist. Wie gern würde er ihr zur Seite stehen und den Fettwanst in seine Schranken weisen! Aber er ist nur ein Kind, was soll er gegen den Riesen schon ausrichten?

    Jetzt verliert der Wirt die Geduld. »Ich muss dir wohl alles zeigen«, sagt er und schiebt sich hinter seine Köchin. Jede Gelegenheit, sie zu berühren, kostet er aus. »Kannst du denn überhaupt nichts selbst?«

    Er greift nach ihrer Hand, die das Messer hält, und schneidet wütend drauflos.

    Jan schreit auf. Er sieht Blut spritzen.

    Fleisch, das blutet!

    »Schnell!«, ruft der dicke Mann und flucht. »Wir brauchen etwas zum Verbinden! Das ist halb so wild. Stell dich nicht so an, heutzutage kann man alles wieder annähen. Und der Junge soll bloß aufhören zu schreien.«

    Jan aber schreit weiter. Aus Leibeskräften. Er denkt nicht daran aufzuhören.

    »Seht euch den an.« Der Wirt deutet auf Jan. »Er hat sich in die Hosen gemacht. Scheiße, bringt ihn weg, er versaut mir den teuren Kachelboden!«

    Knechte mit muskulösen Armen eilen herbei. Sie schleppen den Jungen weg, da kann er noch so schreien und mit den Füßen strampeln. Aber Jan wird nie vergessen, was er gesehen hat. Und der Tag wird kommen, da wird er diesem schwitzenden Scheusal gegenüberstehen und es für das, was es seiner Mutter angetan hat, zur Rechenschaft ziehen. An diesem Tag wird er nicht mehr der kleine Junge sein. Und das Messer wird nicht der Dicke halten. Sondern er.

6

    Es war schon fast acht, als ich an den Bremer Platz zurückkehrte. Der Abend war warm, und beim Griechen stritten sich Gäste um die wenigen Außentische. Kittel hatte sich nicht gemeldet. Ich holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank und schaltete den Fernseher ein.

    Das Lokalfernsehen brachte die Abendnachrichten. Ein Reporter hatte sich vor dem Schloss postiert und berichtete von einer neuerlichen Eskalation im sogenannten Wursthallenstreit. Dieser hatte sich, soweit ich das in den Medien mitverfolgt hatte, daran entzündet, dass die Stadt Münster einem lokalen Fleischproduzenten die Genehmigung erteilt hatte, auf einem Grundstück in der City ein neues Gebäude zu errichten. Firma und Stadtverwaltung hatten die Proteste als unbegründet zurückgewiesen, denn schließlich sei das Grundstück ordentlich bezahlt worden und es seien auch keine schädlichen Emissionen zu befürchten, da es sich um ein Gebäude handele, das ausschließlich für Verwaltung und Logistik bestimmt sei.

    Schön und gut, allerdings handelte es sich nicht um irgendein Grundstück, sondern um jenes auf dem Hindenburgplatz, auf dem Jahre zuvor eine Musikhalle hatte errichtet werden sollen, was damals jedoch ein Bürger-Aktionsbündnis vereitelt hatte. Als sich ausgerechnet an diesem bedeutungsträchtigen Ort eine schnöde Fleischfirma niederlassen wollte, war das alte Bündnis auferstanden und erneut gegen das in seinen Augen skandalöse Vorhaben Sturm gelaufen, dieses Mal jedoch knapp gescheitert.

    »In den frühen Morgenstunden«, kommentierte der Mann auf dem Bildschirm, »gelang es einer Gruppe von schätzungsweise zwanzig Personen, das noch im Rohbau befindliche Gebäude der Allwetterfleisch GmbH zu besetzen.«

    Die Kamera schwenkte zu einem halb fertigen Gebäudekomplex, aus zwei rot geklinkerten Einzelbauwerken

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