Alles Wurst
Unterlippe schob sich nach vorn.
»Na schön«, ruderte ich zurück. »Andererseits kann man sagen, dass diese beiden Dinge nicht zwangsläufig dafür sprechen, dass er unschuldig ist. Und außerdem …«
»Außerdem was?«
»Außerdem stinkt die Sache gewaltig, wenn Sie mich fragen.«
»Sie stinkt? Wonach denn?«
»Niemand weiß, woher die Waffe stammt, mit der Herr Fricke sich angeblich selbst erschossen hat. Und keiner kann erklären, wie er das Wasser aufwischen konnte.«
»Das Wasser?«
»Er hat sein Glas umgestoßen, als sein Kopf nach dem tödlichen Schuss auf den Teller fiel. Das Wasser war weg und nasse Haushaltstücher lagen im Papierkorb. Seltsam, nicht wahr?«
»Stimmt«, meinte Laura, nachdem sie ein paar Sekunden überlegt hatte. »Das klingt nicht nach ihm. Er hätte verschüttetes Wasser niemals selbst weggewischt.«
»Außerdem«, fiel mir noch ein, »sprach Fricke davon, dass er die Pferde scheu machen wollte.«
»Auch das ist seltsam«, meinte die Engelsgleiche. »Herr Fricke besaß nämlich gar keine Pferde.«
»Erzählen Sie mir von Ihrem Vater. Was ist er für ein Mensch?«
»Das habe ich doch schon getan. Was soll ich noch erzählen? Er ist wie ein Fremder für mich. Ein Mensch voller Geheimnisse.«
»Davon wüsste ich gern ein paar.«
Laura lutschte an ihrer Pommes. »Es gibt ein Foto von früher, das auf seinem Schreibtisch stand. Das zeigt ihn, als er noch viel jünger war, und drei andere Männer. Ich habe ihn gefragt, wer diese Leute seien. Er sagte, dass mich das nichts angehe. Als ich beharrte, wurde er wütend und schickte mich auf mein Zimmer.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Als ich mir das Bild später noch einmal anschauen wollte, war es weg.«
»Also gut«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, rede ich morgen mal mit ihm.«
»Das würden Sie tun?« Laura strahlte mich an, dass es mir durch und durch ging. »Von Ihnen kann er dann ja nicht mehr behaupten, dass Sie von solchen Dingen nichts verstehen, nicht wahr?«
In ihrer Handtasche piepste es. »Einen Moment«, meinte sie und zog ein zweites Handy hervor. »Ach, du bist es«, sagte sie. Ihre Stimme klang plötzlich anders. Sie hatte etwas Seidiges, Zärtliches. »Nein, ich kann jetzt nicht, wir haben noch zu arbeiten. Seminartreffen. – Wieso denn nicht? Das ist doch immer abends. – Später vielleicht, so in einer halben Stunde? – Ja, ich dich auch.«
Sie legte auf. »Ein Kollege«, erklärte sie.
Ein Kollege. Auf einen Schlag war die Kathedrale verschwunden und ich befand mich wieder in einem stickigen, lärmverpesteten Raum, in dem es hektischer zuging als während eines Charterflugs auf die Balearen. Was hatte ich hier überhaupt verloren?
Laura kritzelte etwas auf einen Bierdeckel und reichte ihn mir. »Das ist die Adresse.«
»Welche Adresse?«
»Von meinem Vater. Das ist draußen auf dem Land, in der Nähe von Hiltrup. Sie wollten ihn doch besuchen.«
»Mal sehen, ob ich dazu komme«, sagte ich zugeknöpft. »Morgen wartet jede Menge Arbeit auf mich.« Ich warf einen letzten Blick auf die ebenmäßigen weißen Schultern. »Und jetzt lasse ich Sie allein, dann können Sie ungestört mit Ihrem Kollegen telefonieren.«
»Heh, Alter.« Die Bedienung hatte sich endlich an unseren Tisch verirrt. »Willst du auch was essen?«
»Ja, gern«, sagte ich und stand vom Tisch auf. »Aber nicht hier.«
Kapitel 2: Der Plan
Jan wächst in Leiden zu einem Mann heran. Von Fleisch hat er ein für alle Mal genug. Er kann es kaum ertragen, wenn es zum Abendessen auf dem Tisch steht.
»Was willst du denn später einmal werden, wenn du groß bist?«, erkundigt sich sein Onkel, ein pummliger Geselle mit einer unangenehm langen Nase, die Ähnlichkeiten mit einem Rüssel hat. Bei jedem Wort sondert er Wolken von Mundgeruch ab.
»Ein Rächer«, antwortet Jan.
Amüsiert entblößt der Onkel seine gelben Zähne. »Ein Rächer? Ist das dein Ernst?«
»Einer, der die Schwachen verteidigt und diejenigen, die schreiendes Unrecht begangen haben, nicht davonkommen lässt.«
»Schreiendes Unrecht?«
»Genau das.«
»So, so«, meint der Onkel und gönnt sich ein überhebliches Schmunzeln. »Da hast du dir ja allerhand vorgenommen, was?« Er schiebt Jan die Wurstplatte hinüber. »Da, nimm nur. Hab ich extra für dich gemacht.«
Der Mann mit dem Mundgeruch hat ein Restaurant. Jan hasst ihn und überlegt, ob er nicht einer derjenigen ist, die er nicht davonkommen lassen wird.
»Ich esse
Weitere Kostenlose Bücher