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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst
Autoren: Christoph Guesken
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bestehend, die einen Halbkreis bildeten. Aus der Luft betrachtet, so konnte man sich schon jetzt vorstellen, mussten sie einer gigantischen Fleischwurst ähneln − einer Fleischwurst, die sich erdreistete, dem altehrwürdigen, vom berühmten Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun errichteten Schloss zu Münster den Sehenswert abzukaufen.

    »Wer die Besetzer sind, ist zur Stunde nicht geklärt. Die Polizei, die das Terrain zunächst großräumig abgeriegelt hat, geht davon aus, dass es sich um ein breites Bündnis der verschiedensten Gruppierungen wie Musikhallengegner, Kriegsgegner, Fahrradbefürworter, Anti-Raucher, Aaseetunnelgegner und Tierschützer handelt. Glücklicherweise habe ich die Gelegenheit, eine prominente Person zu den Ereignissen zu befragen. Wie keinen anderen kann man diesen Mann als Identifikationsfigur der neu entstandenen Bewegung bezeichnen: Ich begrüße Götz Wallenstein.«

    Hatte ich bis zu diesem Augenblick nur mit halbem Ohr zugehört, stellte ich nun das Bier zur Seite und drehte den Kasten lauter. Ich sah in das Gesicht eines Mannes um die sechzig mit hoher, zerfurchter Stirn. Er trug eine grüne Brille, das weiß-graue Haar zu einem Zopf zusammengebunden, und nuckelte anachronistisch an einer Pfeife, die ihm vielleicht Günter Grass persönlich zum Geburtstag geschenkt hatte. Eine Identifikationsfigur, wie sie im Buche stand.

    »Herr Wallenstein«, wandte sich der smarte junge Mann mit dem Mikro an die Identifikationsfigur, »in Kürze wird Ihnen von dieser Stadt, die sich in Sachen Umwelt und Bioethik schon einen Namen gemacht hat, das Grüne Band für Nachhaltigkeit und umweltverträglichen Lebensstil verliehen werden. Zu Recht, denn Sie gelten in Ökofragen als eine Institution. Wie kommentiert jemand wie Sie diese Entwicklung?«

    Wallenstein ließ von seinem Rotzkocher ab und zeigte ein gnädiges Lächeln. »Wissen Sie, warum es mich freut, dass Sie das Grüne Band erwähnen? – Nun, weil ich ein eitler Mensch bin, werden Sie sagen, und da haben Sie sogar recht. Ich bekenne mich schuldig.«

    Der Mann mit dem Mikro bekam einen Lachanfall.

    »Aber, sehen Sie, da ist noch etwas. Diese Menschen«, Wallenstein deutete vage mit der Pfeife in die Richtung, wo er die Hausbesetzer vermutete, »und nicht nur sie sind es leid, sich von dem zu ernähren, was die großen Fleischfabriken ihnen vorsetzen. Sie sind es leid zu hören, das ließe sich nun mal nicht anders machen, daran sei eben die Globalisierung schuld.«

    »Also würden Sie das, was viele als Akt der Piraterie bezeichnen, rechtens nennen?«, hakte der Interviewer nach und wartete geduldig, bis der Gefragte einen Zug aus seiner Pfeife genommen hatte.

    »Rechtens – nicht rechtens. Schauen Sie, das ist doch gar nicht die Frage. Diese jungen Menschen, deren Entschlossenheit ich bewundere, machen deutlich, dass es hier nicht um irgendeine Lappalie geht wie zum Beispiel die, ob eine Musikhalle gebaut werden soll oder nicht.«

    »Sondern worum?«

    »Um die Wurst. Es geht in der Tat um die Wurst. Und die da oben werden begreifen müssen, dass sie nicht ewig so weitermachen können.«

    Der Interviewer holte zu einer weiteren Frage aus, aber das Klingeln des Telefons forderte meine Aufmerksamkeit. Ich drehte den Fernseher leiser, nahm das Telefon von der Ladestation und stellte die Verbindung her. »Voss?«

    »Hier ist Laura Brück«, meldete sich die Engelsgleiche. »Ich habe eben mit Antje telefoniert.«

    »Antje? Sollte ich die kennen?«

    »Antje Nebel, Ihre neue Klientin. Sie sagte mir, Sie habe Sie als Privatdetektiv konsultiert.«

    »Haben Sie heute Abend schon etwas vor?«

    »Ich? Warum fragen Sie?«

    »Frau Nebel hat mir einen Vorschuss gezahlt. Davon würde ich Sie gern zum Essen einladen.«

    Ich wartete so lange auf eine Antwort, bis ich unsicher war, ob sie überhaupt noch dran war. »Frau Brück?«

    »Ich würde Sie gern auch noch etwas fragen. Etwas Berufliches.«

    »Das wäre doch eine ideale Gelegenheit«, drängte ich.

    »Also gut. Wir könnten uns in einer halben Stunde im Handycap treffen. Da kann man ungestört reden.«

    »Wenn Sie mir sagen, wo das ist.«

     
    Besser, ich hätte mich nicht auf ihren Vorschlag eingelassen. Das Handycap, das sich stolz als erstes Mobile Inn Münsters präsentierte, erwies sich als ehemaliger Waschsalon am Hansaring. Es war rappelvoll und die Gäste des Inns telefonierten, was das Zeug hielt. Klingeltöne piepsten und dudelten aus jedem Winkel und vermischten sich
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