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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst
Autoren: Christoph Guesken
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Altbauidylle schweifen: Dachgärten, auf denen sich leere Bierkästen stapelten, alte Holzkohlegrills, die vor sich hin gammelten, und ganz unten, auf dem briefmarkengroßen Fleckchen Rasen, eine verrostete Kinderschaukel. Obendrein konnte ich einen Blick ins Badezimmer werfen, wo Thea − oder war es Malin? − gerade ihre Dusche beendet hatte und sich mit einem Badetuch abtrocknete. Haberland nutzte seinen Stein-des-Anstoßes-Vergleich, um zu langatmigen Attacken gegen das theologische Establishment überzugehen, gegen die reaktionären Gipskragen, die sich von nichts anderem als Weihrauch ernährten, und den Muff von mehr als zweitausend Jahren. Ich hörte ihm nicht zu.

    »Die würden Sie am liebsten rauswerfen, stimmt’s?«, mutmaßte ich schließlich aufs Geratewohl, weil er einfach kein Ende fand.

    Der Redefluss stoppte. »Rauswerfen? Wen?«

    »Ihre Theologenkollegen in der Uni. Weil sie lieber am kleinbürgerlichen Klischee hängen und sich mit Ihren linken Ideen nicht anfreunden können.«

    Haberland atmete aus. Einen Moment lang hatte er ausgesehen, als wollte er sich auf mich stürzen. Jetzt begriff er, dass ich mich nicht auf seine Kosten amüsierte, sondern ihn verstand.

    »Wollen Sie einen Keks?« Er hielt mir den Teller hin. »Die sind von Malin. Einfach gnadenlos gut.«

    »Nein, danke«, sagte ich.

    »Dann nehmen Sie wenigstens einen Tee.« Ohne meine Antwort abzuwarten, verließ Haberland den Raum.

    Während ich auf ihn wartete, sah ich mich ein wenig im Zimmer um. Mir fiel ein Bilderrahmen mit einem Foto auf, der auf dem Schreibtisch stand. Vier Männer grinsten in die Kamera, einer hielt eine Flasche Bier in der Hand. Im Hintergrund konnte ich einen Strand erkennen. Der in der Mitte war unverkennbar Haberland, wie er vielleicht vor zehn Jahren ausgesehen hatte. Links von ihm Fricke, damals noch ohne Brille. Auch der mit der Bierflasche kam mir bekannt vor, ich brauchte aber eine ganze Weile, bis der Groschen fiel: Das war Götz Wallenstein.

    So lief man sich also wieder über den Weg. Vielleicht würde es gar nicht so leicht sein, das zu halten, was ich Hauptkommissarin Schweikert versprochen hatte.

    »Eine Erinnerung an die guten alten Zeiten«, kommentierte Haberland, der mit zwei dampfenden Tonbechern in der Hand hinter mir stand.

    »Das da ist Götz Wallenstein, nicht wahr?«

    »Allerdings. Wir drei waren früher mal eine eingeschworene Clique. Die Taufkumpane . Einer für alle und umgekehrt. Aber das ist lang her.«

    »Taufkumpane?«

    Er deutete auf einen Schriftzug, der, gerade eben lesbar, auf Wallensteins T-Shirt stand. DWWF. »Das Wort wird Fleisch«, erklärte er. »Im sechzehnten Jahrhundert erkannten sich die Täufer daran untereinander.«

    »Wallenstein war auch einer von denen?«, wunderte ich mich.

    »Ich sagte doch, dass ich früher genauso war wie Jens heute. Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, die Verhältnisse aufzumischen. Wollten an die reformatorisch-radikale Täufertradition anknüpfen. Gleichzeitig sollten sie politisch aufgeladen werden. Radikal basisdemokratisch und außerparlamentarisch.« Ein abgeklärtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Tja, wir hatten uns damals eine Menge vorgenommen.«

    Ich deutete auf den Riesen mit dem viereckigen Schädel. »Und wer ist der Vierte im Bunde?«

    »Er ist nie im Bunde gewesen, obwohl er es allzu gern gewollt hätte. Ulf Castrop, er ist der Halbbruder von Heiner Fricke. Heute einer der ganz Großen bei Allwetterfleisch. «

    »Dann hat er wohl mit Wallenstein nicht viel gemeinsam?«

    Haberland nickte. »Die beiden waren wie Hund und Katze. Aber beide haben ihren Weg gemacht, nicht wahr? Götz hat seine Casa Verde, und Ulf gilt als einer der Wohlhabendsten dieser Stadt, mit einem Luxusanwesen in Handorf und einer Luxusjacht in Mauritz.«

    Im Schilf hinter uns raschelte es. Wir drehten uns um. Da stand die Frau, die ich unter der Dusche gesehen hatte, in rosafarbenen Joggingklamotten. »Kommst du?«, fragte sie. »Wir sind spät dran.«

    Haberland sah auf die Uhr. »Tut mir leid«, meinte er zu mir, »aber die körperliche Ertüchtigung fordert nun einmal ihren Tribut.«

    »Ich wollte sowieso gerade gehen«, meinte ich.

    Wir folgten der Frau, die Haberland mir als Malin vorstellte, zurück in den blauen Dunst des Flurs. Als ich die Wohnungstür hinter mir schließen wollte, hätte ich beinahe Haberlands Finger eingeklemmt. Er war mir gefolgt.

    »Übrigens habe ich erst gestern mit Jens
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