Alles Wurst
Sachbuchautor, Ökoguru und Anführer einer Allianz der Rechtschaffenen. Für die eigene Tochter hat man da wenig Zeit, stimmt’s? Schließlich will sie ja Aufmerksamkeit und Zuwendung, aber die kann man als große Persönlichkeit wohl am wenigsten erübrigen! Und wenn man dann als permanenter Hausgeist aller Talkshows eines Tages zur Kenntnis nehmen muss, dass die eigene Tochter gegen einen arbeitet, all das mit Füßen tritt, für das man steht, nämlich Biokultur als elitäre Nische der Reichen und Schönen, dann macht einen das wütend. So wütend, dass man den Menschen, der einem das eingebrockt hat, gerne umbringen will, nicht wahr?«
Es war mucksmäuschenstill. Die Kameraleute vergaßen, ihre Kameras auszuschalten. Sie schienen nicht so recht begriffen zu haben, wovon ich gesprochen hatte, und waren sich nicht sicher, ob einer von uns noch etwas sagen würde. Und richtig: Wallenstein, der eitel grinsend dagestanden hatte, stemmte seine Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf, als halte er es für unter seiner Würde, einen solchen hirnverbrannten Blödsinn zu kommentieren. Dabei holte er zum Gegenschlag aus.
»Herr Wallenstein, ich danke Ihnen für das Gespräch«, kam ich ihm zuvor und machte mich daran, den Raum zu verlassen. Gäste, Angestellte und Journalisten bildeten eine respektvolle Gasse.
Leider versperrte jemand die Tür.
»Sie sind vorläufig festgenommen«, erklärte Frau Schweikert und packte mich am Arm.
»Ach ja?« Ich kicherte aufmüpfig. »Mit welcher Begründung, wenn ich fragen darf? Oder hat der Hausherr sogar die Kripo gekauft, damit sie in diesem Laden für Ordnung sorgt?«
»Das werden wir noch sehen«, meinte sie, ohne ihren Griff zu lockern. »Vielleicht nur wegen groben Unfugs mit menschlichen Körperteilen. Aber wehe, wir finden die Leiche, die zu den Fingern gehört. Dann lautet die Anklage auf Serienmord.«
10
Noch während man mich abführte, durchströmte mich die berauschende Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Ich war bester Dinge und fühlte mich Frau Schweikert haushoch überlegen, ebenso den Presseleuten, die sich sensationsgeil auf die Szene stürzten und mir mit offenem Mund nachstarrten. Nichts als Mitleid hatte ich für all jene übrig, die vor der Glotze saßen, das WDR-Fernsehen eingeschaltet hatten und sich entrüstet fragten: ›Wer ist denn dieser fette Kerl und wovon zum Teufel redet er überhaupt?‹ Viele zu Unrecht Festgenommenen mussten sich so gefühlt haben wie ich jetzt − Revolutionäre, die den Mächtigen in die Quere kamen, glorreiche Rebellen, Volkshelden, die man auf einsame Inseln verbannt hatte. Sollten sie mich, in Eisen gekettet, in ein dunkles Verlies werfen oder meine schwielenübersäten Hände an das Ruder einer Galeere nageln. Hauptsache Laura, die Engelsgleiche, hatte da draußen alles mit angesehen, auf den Fernsehern im Schaufenster jenes Ladens, an dem sie rein zufällig vorbeigeschlendert war.
Anders ausgedrückt: Die infantilen Hochgefühle, die mich neuerdings anfallsweise heimsuchten wie eine rätselhafte Krankheit, beherrschten meine Gedanken, Worte und Stimmungen, ohne dass ich in der Lage war, mich dagegen zu wehren.
Sanne Schweikert schien dieses Mal fest entschlossen zu sein, mich als Serientäter zu überführen. Einen geschlagenen verregneten Nachmittag lang hielt sie mich im Vernehmungsraum der Kripo Münster gefangen und ließ mich die Geschichte von der Entdeckung des zweiten Fingers wieder und wieder aufsagen.
»Erzählen Sie mir, woher Sie das Körperteil haben«, verlangte Frau Schweikert.
»Zum hundertsten Mal«, sagte ich zum hundertsten Mal, »ich habe den Finger nicht ins Essen geschmuggelt.«
»Dann sagen Sie mir, warum Sie es getan haben.« Die Kommissarin sah erschöpft aus − ein lebender Beweis, dass nicht nur schikaniert zu werden, sondern auch zu schikanieren anstrengend war.
»Sie meinen, warum ich es getan hätte, wenn ich es getan hätte, was ich aber nicht habe?«
Sie gähnte, ohne die Hand vor den Mund zu halten. »Sie haben selbst gesagt, dass Sie für Fricke arbeiten. Er hat Sie beauftragt, im Grünen Winkel für einen Skandal zu sorgen.«
»Herr Fricke wurde aber doch ermordet.«
»Na und? Ein beflissener Schnüffler wie Sie führt einen Auftrag eben gern zu Ende aus.«
»Dachdecker haben Aufträge«, stellte ich richtig. »Schnüffler haben Fälle. Und ich habe längst einen anderen Fall. Fragen Sie doch Frau Nebel, meine Klientin.«
»Frau Nebel?«
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