Alles Wurst
wie immer behauptet wird.«
»Der Glaube an Verschwörungstheorien steht dem an den Weihnachtsmann an Naivität in nichts nach«, sagte ich. »Ich an eurer Stelle würde meine Zeit nicht mit so etwas verschwenden.«
»Mit was verbringen Sie sie denn so, Partner?«, fragte Kim.
»Mit klassischer Detektivarbeit. Ich suche einen Mann, der verschwunden ist.«
»Welchen Mann?«
»Jan van Leiden«, sagte ich. »Einer aus dem Mittelalter.«
Sie nickte, als wäre sie auf dem Laufenden. Dabei gab es ja wohl kaum etwas, wovon sie und ihre Landsleute weniger Ahnung hatten als vom Mittelalter.
»Das ist alles sehr lange her«, erklärte ich so herablassend wie möglich. »Damals war die Kavallerie der Südstaaten noch gar nicht erfunden, und es sollte noch geschlagene Jahrhunderte dauern, bis man sich bei euch für so etwas wie Zivilisation überhaupt interessierte.«
»Johann Bockelson aus Leiden«, leierte Kim herunter. »Männlich, weiß, niederländischer Herkunft. Ließ sich im September 1534 zum König von Münster ausrufen. 1535 angeklagt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Wurde auf das Rad geflochten und zur Abschreckung des Pöbels in einem Käfig zur Schau gestellt.« Sie kaute selbstgefällig auf ihrem Kaugummi herum. »Warum wollen Sie den denn suchen? Dass der tot ist, weiß man sogar in den Staaten.«
Auch während des penetranten Grinsens hörte sie nicht mit dem Kauen auf. Kittel konnte mir leidtun, wenn er sich in die absolut irrsinnige Idee verrannt hatte, wir drei würden jemals ein Team werden. Dann bemerkte ich mit Widerwillen, dass Kittel sich bemühte, das gleiche Grinsen aufzusetzen. Sein Kiefer nahm sogar Kaubewegungen auf. Da tat er mir nicht mehr leid.
»Sehr komisch«, giftete ich und wandte mich zur Tür. »Wenn ich wiederkomme, ist die Küche aufgeräumt.«
»Was wird aus den neuen Firmenschildern?«, rief Kittel mir nach. »Ich finde, wir sollten sie gemeinsam entwerfen, meinst du nicht auch?«
12
Ich verließ das Haus und schwang mich auf mein Fahrrad. Raste die Wolbecker Straße stadteinwärts und rempelte Fußgänger an, die auf den Radweg auswichen, weil der Bürgersteig von geparkten Zweirädern versperrt wurde. »Heh, ihr blöden Penner!«, brüllte ich in ihre entrüsteten Gesichter. »Das ist eine Fahrradstadt, schon vergessen? Also schwingt gefälligst euren Hintern aus dem Weg!«
Mir war klar, dass ich es nicht so meinte. Diese Leute konnten schließlich nichts dafür, dass mein Expartner sich anschickte, mich mithilfe eines weiblichen US-Marshalls aus meiner eigenen Firma zu drängen. Sie kannten mich ja nicht und hatten auch nichts damit zu tun, dass ich in einem seltenen Anfall naiver Dämlichkeit der Idee verfallen war, das zerrüttete Verhältnis zu Kittel wiederzubeleben. Dass ich mir eingebildet hatte, wenn genug Gras darüber gewachsen sei, würde es schon klappen, so als wäre es eine allgemein bekannte Tatsache, dass mit Gras überwucherte Verhältnisse nicht zerrüttet sein könnten.
Es war gegen halb vier nachmittags und die Sonne ließ die Promenade im besten Licht erstrahlen. Nicht ganz zufällig schlug ich die Richtung zum Kuhviertel ein. Laura Brück, so hatte ich in Erfahrung gebracht, wohnte in der Hollenbeckerstraße, einem schiefen Gässchen mit mittelalterlichem Flair, in einem toprenovierten uralten Haus, in dessen Erdgeschoss sich ein uriges Piratenrestaurant befand. Mein Rad rappelte über das antike Kopfsteinpflaster, die Frontlampe lockerte sich und baumelte kurz darauf am Kabel.
Früher hatten sich in diesem Viertel allabendlich die meisten Studenten der Stadt eingefunden und waren fröhlich von Kneipe zu Kneipe gezogen. Sie hatten mit ihren Bierkrügen auf die Tische geknallt und Studentenlieder angestimmt. Nachts waren die Gassen erfüllt gewesen von besoffen umhertorkelnden Studenten, die auf der Suche nach Nischen waren, in denen sie sich übergeben konnten. Prügeleien waren sozusagen Pflicht gewesen. Man konnte sich lebhaft vorstellen, wie Jan van Leiden einer von ihnen gewesen war, wie ihm eines Nachts nach einer solchen Prügelei die Idee gekommen war, dass man besser viele Frauen hatte anstatt nur eine, weil sich für nur eine das Kämpfen nicht lohnte.
Doch diese Zeiten waren lange vorbei. Heutzutage kamen Studierende nicht mehr dazu, sich zu prügeln. Sie büffelten für ihren Bachelorabschluss, tranken Orangensaft und joggten telefonierend auf der Promenade.
Das Glück des spontanen Besuchs
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