Alles Wurst
»Ich würde sagen: Wir alle tun viel dazu, dass sie gar nicht so heimlich ist, nicht wahr?«
Höflicher Beifall.
»Wenn er fertig ist, kommt ein alter Weggefährte«, entnahm ich dem Blatt. »Frank-Walther Safranski. Glaubt nicht, dass ich mir den noch antun will. Wir haben doch keine Chance, an Wallenstein ranzukommen.«
»Safranski?«, horchte Kittel auf. »Der war früher bei der GAL, jetzt ist er Aktionskünstler. Ich hab ihn drüben in der Nähe der Waschräume sitzen sehen.« Er stand auf.
»Was hast du vor?«, wollte ich wissen.
»Wart’s ab. Vielleicht kommen wir doch noch zum Zug.«
Kurz nachdem Kittel weg war, verdrückte sich Kim aufs Klo. Ich wartete eine Weile und ließ mein Bier schal werden. Der Bürgermeister fand kein Ende, stattdessen wollte er jetzt auch einen Bogen schlagen.
An einem der Nebentische tat sich plötzlich etwas: Eine Gruppe junger Leute zog Skimützen über und begab sich ins Innere des Restaurants, offenbar in der Absicht, dort ein Transparent zu entrollen.
Ich wollte auch hinein und schloss mich ihnen an.
Der Bürgermeister war ein Ehrenmann. Er machte seine Drohung nicht wahr und kam unerwarteterweise zum Schluss. Erleichterter Applaus brandete auf.
»Heh, was soll das?«, beschwerte sich einer der Skimützenträger. »Zisch ab, Alter. Das ist nichts für dich.«
»Stoppt die Wursthalle!«, las ich auf dem Plakat. »Das ist auch mein Kampf.«
»Quatsch, hier wird nicht gekämpft. Wir sind nur Komparsen.«
»Ihr seid gar nicht echt?«
»Wallenstein will, dass die Öffentlichkeit mitkriegt, wie tolerant er mit Kritik umgeht. Im amerikanischen Wahlkampf ist so was längst üblich.«
Was er noch sagen wollte, ging in erneutem Applaus unter. Frank-Walther Safranski, der alte Weggefährte, betrat die Bühne. Er war in eine abgewetzte Lederjacke gehüllt und trug eine Sonnenbrille. Trotzdem erinnerte er mich sehr an Kittel.
Mein Expartner hielt sich nicht lange damit auf, einen Bogen zu schlagen, sondern kam unverblümt zur Sache. Berichtete von einem Pakt, den der große Wallenstein mit dem Teufel geschlossen habe. Der Teufel habe sich mit Billigfleisch eine goldene Nase verdient und damit das Loch gefüllt, das in Wallensteins Kasse gegähnt habe.
Noch reagierte das Publikum nicht. Offenbar kannte niemand Safranski persönlich und es war schließlich allgemein bekannt, dass Aktionskünstler gern provozierten.
Damit habe sich der Teufel große Verdienste um Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung erworben, fuhr Kittel fort, und ihm gebühre eigentlich das Grüne Band der Stadt Münster. Natürlich sei alles streng geheim gewesen und wäre dies auch geblieben, aber dann stünde Safranski, der Weggefährte, jetzt auch nicht hier. Jemand habe Wind von der Sache bekommen.
Unruhe breitete sich im Publikum aus. Wallenstein stand auf und machte der Regie Zeichen.
»Nieder mit der Wursthalle!«, brüllte ich. » Allwetterfleisch go home!«
Die Komparsen schlossen sich mir an. Ein kleiner Tumult entstand.
Kittel berichtete nun von Schadewaldt, der tot im Babybecken des ehemaligen Ostbads liege, wovon sich jeder überzeugen könne. Schadewaldt habe in Wallensteins Auftrag drei Menschen getötet, weil sie hinter sein kleines schmutziges Geheimnis gekommen seien.
Weiter kam er nicht. Wallenstein stand plötzlich neben ihm und nahm ihm das Mikro aus der Hand.
»Wursthalle, buh!«, wiederholte ich. »Yes, we can!« Aber die Scheindemonstranten mit dem Transparent hatten sich verkrümelt.
»Die Show ist zu Ende, Freundchen«, raunte mir ein Ordner zu, der fast doppelt so groß war wie ich. »Abmarsch, und hol dir dein Honorar an der Kasse ab.«
Während ich den Rückzug antrat, erwies sich auf der Rednertribüne, dass der Teufel gegen Wallenstein ein Dilettant war. Der Nachhaltigkeitsguru nahm die Grass-Pfeife aus dem schiefen Mund und bekannte leise, dass er gerührt sei. Aber auch betroffen. Betroffen und gerührt gleichermaßen.
Es war still im Saal. Kittels Auftritt war ferne Vergangenheit.
Gerade erst habe er vom Schicksal seines sogenannten Freundes Schadewaldt erfahren, den er immer für einen untadeligen Menschen gehalten habe. Ja, nach wie vor empfinde er etwas für diesen langjährigen Freund, trotz dieser schrecklichen Taten. Von denen er, Wallenstein, nichts geahnt habe. Ob sich irgendjemand im Publikum vorstellen könne, wie man sich fühle, wenn man Jahr um Jahr einen Menschen gekannt habe und dann von ihm erfahren müsse, dass er
Weitere Kostenlose Bücher