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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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aufbrachen. Okonkwo übergab ihnen als Geschenk zwei Hähne.

Dreizehntes Kapitel
    Go-di-di-go-go-di-go. Di-go-go-di-go. Die ekwe sprach zum Klan. Jeder Mann lernte früh die Sprache der aus einem Baumstamm gehöhlten Trommel. Diim! Diim! Diim!, pfiff in Abständen das Geschütz [119]   .
    Noch hatte kein Hahn gekräht und Umuofia war noch in Schlaf und Schweigen versunken, als die ekwe zu sprechen begann und das Geschütz die Stille zerriss. Männer regten sich auf ihren Bambuslagern und horchten verstört. Es war jemand gestorben. Das Geschütz schien den Himmel zu zerschlagen. Di-go-go-di-go-di-di-go-go trug ihnen die botschaftsschwere Nachtluft zu. Das ferne, schwach zu hörende Klagen der Frauen lagerte sich wie eine Trauerkrume auf der Erde ab. Hin und wieder hob sich ein volltönender Ruf aus dem Wehklagen heraus, nämlich dann, wenn ein Mann den Sterbensort betrat. Dann hob dieser ein-, zweimal in männlicher Trauer die Stimme, ehe er sich zu den übrigen Männern setzte, die dem endlosen Jammern der Frauen und der dunklen Sprache der ekwe lauschten. Hin und wieder krachte das Geschütz. Das Klagegeschrei der Frauen war jenseits der Grenzen des Dorfs nicht zu hören, doch die ekwe trug die Botschaft in alle neun Dörfer und noch darüber hinaus. Sie nannte zuerst den Klan: Umuofia obodo dike , das »Land der Tapferen«. Umuofia obodo dike!Umuofia obodo dike! Das wiederholte sie wieder und wieder, und je länger sie dabei verweilte, umso größer die Beklommenheit, die in dieser Nacht auf den Bambuslagern die Herzen aller stocken ließ. Dann ging sie näher auf die Umstände ein und nannte das Dorf: Iguedo des gelben Mahlsteins [120]   ! Das war das Dorf Okonkwos. Wieder und wieder wurde Iguedo gerufen, und in allen neun Dörfern hielten die Männer den Atem an. Als schließlich der Mann genannt wurde, seufzten die Menschen: »E-u-u, Ezeudu ist tot.« Okonkwo liefen kalte Schauer über den Rücken, als er des letzten Besuchs des Alten gedachte. »Der Junge nennt dich Vater«, hatte er gesagt. »Du darfst mit seinem Tod nichts zu schaffen haben.«

    Ezeudu war ein großer Mann gewesen, und so fand sich der ganze Klan zu seiner Bestattung ein. Die uralten Totentrommeln wurden geschlagen, Gewehre und Geschütze abgefeuert, und überall rannten Männer wie Besessene umher, hauten jeden Baum und jedes Tier um, auf die ihr Blick fiel, sprangen über Mauern, tanzten auf Dächern. Es handelte sich um die Bestattung eines Kriegers, und vom Morgen bis zum Abend kamen und gingen Krieger in ihren jeweiligen Altersgruppen. Sie alle trugen gerußte Baströcke, und ihre Körper waren mit Kreide und Kohle bemalt. Dann und wann stieg ein Ahnengeist, ein egwugwu , aus der Unterwelt auf, ganz in Bast gewandet, und sprach mit hohler, unirdischer Stimme. Einige dieser Besucher wurden gefährlich; am Vormittag hatten sich alle im kopflosen Sturm in Sicherheit bringen müssen, als ein egwugwu mit scharfem Kampfmesser erschien und erst daran gehindert werden konnte, ernsten Schaden anzurichten, als zwei Männer ihn mit dem dicken Strick bändigten, den er um die Taille trug [121]   . Mehrmals wandte er sich gegen diese Männer und jagte sie, dann liefen sie um ihr Leben. Doch stets kehrten sie zu dem Strick zurück, den der Geist hinter sich her zog. Er sang mit entsetzlicher Stimme von Ekwensu, dem bösen Geist, der in sein Auge gedrungen sei.
    Doch der gefürchtetste von allen sollte noch kommen. Er erschien immer allein, und er erschien in der Gestalt eines Leichenkastens. Wo immer er ging, verströmte er einen üblen Geruch, und Fliegen gaben ihm das Geleit. Selbst die mächtigsten Heiler suchten Schutz, wenn er sich näherte. Vor vielen Jahren hatte ein anderer egwugwu es gewagt, sich ihm in den Weg zu stellen, und war zwei volle Tage auf die Stelle gebannt geblieben. Dieser Geist hatte nur eine Hand und trug einen Korb Wasser bei sich.
    Andere egwugwu waren vergleichsweise harmlos. Einer war so alt und gebrechlich, dass er sich schwer auf einen Stock stützen musste. Er ging unsicher zur Stätte, wo der Leichnam lag, blickte eine Zeitlang stumm auf ihn hinunter und zog wieder ab – in die Unterwelt.
    Das Land der Lebenden war der Welt der Ahnen nicht sehr fern. Zwischen beiden war ein stetes Kommen und Gehen, besonders zu Festtagen und auch, wenn ein alter Mann starb, denn ein Alter war den Ahnen am nächsten. Das Leben eines Mannes bestand von der Stunde seiner Geburt bis zu seinem Tod aus einer Folge von

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